Die Anfänge
Nach einer arbeitsmedizinischen Untersuchung im Sommer 2012 wurden mir meine erhöhten Thrombozyten von 533 000 als kontrollbedürftiger Laborbefund mitgeteilt. Als ich daraufhin meine Hausarztpraxis kontaktierte, hieß es, die Thrombozyten seien 2008 und 2011 auch schon leicht erhöht gewesen (2008 bei 400 000 und 2011 bei 547 000). Dies habe keine Bedeutung.
Die Jahre vergingen.
Ich bemerkte in dieser Zeit Symptome an mir, wie Kopfschmerzen, häufige Wadenkrämpfe und blaue Flecken, auch ohne mich besonders fest gestoßen zu haben. Dazu kam Müdigkeit, das Gefühl, „irgendetwas laufe mir über die Haut“ und Sehstörungen, während deren ich im Blickfeld alles etwas verschoben sah, als würde die Kante eines Sägezahnmessers mein Bild durchziehen. Dies dauerte ungefähr 30 Minuten und endete meist mit Kopfschmerzen. All das hat mein Hausarzt zunächst nicht in Verbindung mit einer hämatologischen Krankheit gebracht. Und ich auch nicht, obwohl ich im medizinischen Bereich arbeite. Das zeigte eben, dass unter Medizinern die MPNs nicht besonders gut bekannt sind.
Ich beginne zu recherchieren
Wirklich beruhigt war ich nicht und habe Ende 2013 ernsthaft begonnen, im Internet nachzulesen. Ich las von Blutkrebs und geringer Lebenserwartung, was mich sehr verunsichert hat. Schnell fand ich dann die Website vom mpn-netzwerk, wo ich viele gute Informationen las. Ich fand dort alle meine Symptome, die zur Erkrankung der ET passten. Zum ersten Mal las ich von der Jak2-Mutation, fühlte mich „wie vom Blitz getroffen“ und spürte sofort: Genau das ist es. Ich bin Jak2-positiv!
Das besprach ich dann mit meinem Hausarzt, er kontrollierte nochmal das Blutbild und als die Thrombozyten weiterhin erhöht waren, überwies er mich an einen Hämatologen. Nach einer Blutentnahme war klar, dass ich eine ET habe und tatsächlich Jak2-positiv bin.
Zu diesem Zeitpunkt litt ich täglich unter den Sehstörungen (Flimmerskotome). Das war für mich eine wirklich deutliche Einschränkung meiner Lebensqualität und so begann ich auf Anraten meines Hämatologen mit der Einnahme von ASS100. Ich war begeistert, als nach der Einnahme der ersten Tablette kein Flimmersehen mehr auftauchte! – Das war im Frühjahr 2014. Eine Knochenmarkpunktion plante mein Hämatologe für den Herbst, das habe zunächst noch keine hohe Priorität.
Die ET ist offiziell
Das Kind hatte nun endlich einen Namen! Darüber war ich unglaublich froh, alle Symptome fügten sich zu einer Erklärung zusammen. Mich beschäftigte das Ganze psychisch dann doch deutlich mehr, als ich dachte. Akzeptieren, dass ich an einer chronischen Krankheit litt, ging dann doch nicht auf Knopfdruck. Professionelle Hilfe holte ich mir nicht, mir half das Reden darüber mit meinem Mann, meinen Freunden und der Kontakt mit anderen Betroffenen hier im Netzwerk immens. Ein offener Umgang mit meiner Erkrankung war mir von Anfang an wichtig.
Ich entschied mich, die Knochenmarkpunktion nun doch sehr bald machen zu lassen. Jetzt wollte ich ganz genau wissen, wie es im Knochenmark aussieht, ob ich wirklich an einer frühen Form der ET litt oder ob das Knochenmark Fibrosezeichen aufwies. Ich empfand den Eingriff in Lokalanästhesie gut erträglich. Der Befund bestätigte eine frühe Form der ET. Darüber war ich erleichtert!
Ungefähr zur gleichen Zeit erlitt ich eines Abends eine sich vom kleinen Finger über die Hand ausbreitende Lähmung, die nach einigen Minuten den gesamten Arm und die Hälfte des Gesichts betraf. Ich dachte an die Vorboten eines Schlaganfalls und war verunsichert, da verschwand die Lähmung nach kurzer Zeit. Mein Arzt und ich schenkten dem Vorfall dann keine große Bedeutung. Eine Erklärung sollte sich erst Jahre später finden.
Die Ereignisse überschlagen sich
Zwei Monate später erlitt ich aufgrund einer Divertikulitis einen Durchbruch des Dickdarms und musste operiert werden. Der riesige Hämatom, welcher durch die Operation entstand, beschäftigte mich über 4 Wochen und brachte mich in die Praxis eines Gerinnungsspezialisten. Er diagnostizierte bei mir ein als Folge der ET erworbenes von-Willebrand-Syndrom. Meine Thrombozytenzahl war stabil um 600 000. Beschwerden hatte ich so gut wie keine mehr.
Dann tauchte im Rahmen einer Routine-Darmspiegelung 6 Monate nach meiner Darmoperation ein Geschwür im unteren Teil des Dünndarms auf. Das Ergebnis der Probeentnahme ergab einen Zusammenhang mit meiner ASS-Einnahme, so dass ich im April 2015 mit der Einnahme von Clopidogrel begann.
Noch beruhigt sich mein Gesundheitszustand nicht
Im Sommer des Jahres 2015 thematisierte ich bei meinem Arzt den wiederkehrenden Schwindel, den ich als Symptom der ET interpretierte. Eine Abklärung beim Neurologen mit EEG und Schädel-MRT ergab Hinweise auf eine untypische Form der Epilepsie. Der Neurologe erklärte mir, dass die kurze Lähmung Jahre zuvor, ein sogenannter „Jackson March“ war. jedes „Schwindelgefühl“ ein Ausdruck der Epilepsie. Mit der Einnahme eines Medikaments gegen Epilepsie verschwand der Schwindel vollständig.
Das MPN-Register
Im Sommer 2015 habe ich mich in der MPN-Registerstudie registrieren lassen. Ich möchte dazu beitragen, dass die Forschung ein noch besseres Bild der MPN erhält und finde das Register überaus nützlich und sinnvoll
Meine Sicht aufs Leben hat sich verändert
„Carpe diem“ ist zu meinem Lebensmotto geworden, denn auch ohne chronische Krankheit weiß niemand, wie viel Zeit ihm im Leben noch bleibt!
Heute lebe ich deutlich bewusster und achte noch mehr auf mich. Meine Lebensqualität empfinde ich als wenig eingeschränkt. Glücklicherweise leide ich nicht unter ausgeprägter Fatique. Alle 3 Monate lasse ich meine Blutwerte kontrollieren und meine Thrombozytenzahl ist immer noch stabil.
Stand: Juni 2018