Kann ich mit MPN ein Kind bekommen?
MPN und Schwangerschaft
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Vorbemerkung
Die Einschätzung zu diesem Thema hat sich fundamental gewandelt. Wurde noch vor fast 30 Jahren schwangeren Patientinnen mit myeloproliferativen Neoplasien (MPN) zum Abbruch geraten, haben mittlerweile viele Frauen mit MPN-Krankheiten gesunde Kinder zur Welt gebracht. Die Ärzte trauen sich inzwischen sogar an schwierige Fälle heran, etwa Schwangerschaften nach vorherigen Thrombosen oder Zwillingsschwangerschaften. Auch im MPN-Netzwerk hat eine ganze Reihe von Frauen Kinder bekommen.
Es gibt einige Dinge zu beachten und bestimmte Risiken sind gegenüber einer „normalen“ Schwangerschaft etwas erhöht.
Wichtig ist aber zu wissen, dass das Risiko vor allem dann höher ist, wenn die MPN vor der Schwangerschaft noch nicht entdeckt war. Bei einer bekannten MPN lässt sich das Risiko durch entsprechende Vorsorgemaßnahmen minimieren. Außerdem kann man Komplikationen in der Regel gut behandeln und durch engmaschige Beobachtung und gegebenenfalls medikamentöse Therapie erheblich reduzieren.
Studienlage
Es gibt bisher erst eine Handvoll Studien, in denen die Erfahrungen von schwangeren MPN-Patientinnen ausgewertet werden. Dies liegt in der Natur der Sache, da es sich bei den MPN um seltene Krankheiten handelt und selbst unter den von MPN betroffenen Frauen nur eine Minderheit im gebärfähigen Alter ist – die Diagnose erfolgt vielfach erst in der zweiten Lebenshälfte.
Die Mehrzahl der Studien gibt es zu Schwangerschaft mit ET.
Die meisten Daten liegen zu Schwangerschaften von Frauen mit Essentieller Thrombozythämie (ET) vor (zumal diese Krankheit auch häufiger diagnostiziert wird). In Zahlen: in der Literatur sind 1000 Schwangerschaften mit Essentieller Thrombozythämie (ET) beschrieben, 200 mit Polycythaemia Vera (PV) und nur rund 20 Fälle mit Myelofibrose. Die meisten der folgenden Ausführungen beziehen sich also auf die ET. Die Aussagen gelten aber in der Tendenz für andere MPN-Krankheiten ähnlich, wenngleich die Komplikationsrate z.B. bei der PV etwas höher zu sein scheint als bei einer ET.
Risiken einer Schwangerschaft mit MPN
Bei Schwangerschaften unter einer MPN-Krankheit muss zwischen Risiken für die werdende Mutter und für das ungeborene Kind unterschieden werden.
Risiko für die Mutter – Thrombose oder Blutung
Für die Mutter steigt das Risiko, eine Thrombose oder Blutung zu erleiden. Dieses Risiko ist bei Schwangerschaften ohnehin erhöht – bei gesunden Frauen tritt in oder kurz nach der Schwangerschaft in 0,15 Prozent der Fälle eine Thrombose auf. Bei werdenden Müttern mit einer ET ist das Risiko zehnmal so hoch und liegt bei 1,8 Prozent. Schwangere mit PV erleiden in 3,1 Prozent der Fälle eine Thrombose. Ebenso hoch ist die Rate an schweren Thrombosen, wie eine noch unveröffentlichte Studie an 129 Schwangerschaften mit PV zeigt (Stand: März 2023).
Das Risiko schwerer Blutungen nach der Geburt steigt mit ET auf 2,4 Prozent, gegenüber 0,59 Prozent bei unbelasteten Müttern. Diese Risiken lassen sich aber durch entsprechende Behandlung erheblich reduzieren.
Grundsätzlich gilt, dass Thrombose-Komplikationen häufiger im Wochenbett als während der Schwangerschaft auftreten.
Hauptrisiko für den Embryo – Fehlgeburt
Das Risiko für das ungeborene Kind besteht vor allem in einer erhöhten Fehlgeburtsrate im ersten Schwangerschaftsdrittel (Frühabort). Auch in einer „normalen“ Schwangerschaft sind frühe Fehlgeburten innerhalb der ersten 20 Wochen nicht ungewöhnlich und kommen in elf Prozent der Fälle vor. Bei einer Mutter mit einer MPN liegt das Risiko doppelt so hoch, bei etwa 26,5 Prozent. Auch die Rate der Totgeburten nach der 20. Schwangerschaftswoche ist deutlich erhöht. Verstirbt innerhalb der normalen Bevölkerung in 0,4 Prozent der Fälle der Embryo im Mutterleib, liegt die Rate bei MPN-Erkrankten bei knapp fünf Prozent.
Wichtig zu wissen:
Die „Erfolgsquote“ bessert sich bei gut überwachten Schwangerschaften.
Nach einer Auswertung der bis dahin publizierten Literatur 2018 sind 68,5 Prozent der Schwangerschaften bei ET erfolgreich, bei PV sind es 68 Prozent. Darin enthalten sind aber auch Fälle, in denen die MPN-Krankheit anfangs gar nicht bekannt war. Durch ein gutes Management der Schwangerschaft – häufige Blutkontrollen, Aspirin, gegebenenfalls Heparin und in Hochrisikofällen Interferon Alpha – erreichen Schwangere und ihre Ärzte heutzutage „Erfolgsquoten“, die kaum schlechter sind als die „normale“ Quote erfolgreicher Schwangerschaften von 85 Prozent. Bei PV waren laut der neuesten Studie mit spezifischer Therapie 78 Prozent der Schwangerschaften erfolgreich.
Wie kommt es zu Fehlgeburten?
Die genauen Mechanismen sind noch unbekannt und Gegenstand wissenschaftlicher Debatten. Es wird vermutet, dass Komplikationen im Zusammenhang mit nicht funktionstüchtigen Thrombozyten (Blutplättchen) oder deren Anzahl stehen könnten. Manche Studien zeigten einen negativen Einfluss der JAK2-Mutation, während andere Untersuchungen das nicht erhärten konnten. Für Frauen mit CALR-Mutation bei einer ET wurde eine bessere Lebendgeburtenrate berichtet.
Am häufigsten kommt es zu kleinen Gefäßverschlüssen in der Plazenta (=Mikrothromben, Plazentainfarkte), die zu einer Unterversorgung des Kindes führen können. Diese Komplikation ist auch bei gesunden Frauen die häufigste Ursache für eine Fehlgeburt, kommt jedoch bei Frauen mit ET häufiger vor. In seltenen Fällen können aber auch Blutungen in der Plazenta auftreten, die zu einer Unterversorgung des Kindes und/oder zu einer Ablösung der Plazenta führen können.
Ein Blutungsrisiko besteht vor allem dann, wenn die Thrombozytenzahlen deutlich zu hoch sind (> 1 Million). Das führt häufig paradoxerweise eher zu Blutungen als zu Gefäßverschlüssen, weil krankheitsbedingt außerdem eine Funktionsstörung der Thrombozyten vorliegt. Allerdings sinken die Thrombozytenzahlen in der Schwangerschaft ohnehin meistens ab.
Ob Blutverdünner gegeben werden sollen beziehungsweise in welcher Dosis, ist sehr individuell zu lösen, also bei jeder Patientin spezifisch und abhängig vom Fall.
Abgesehen von Fehlgeburten, gibt es weitere Risiken für die Entwicklung des Embryos?
Fehlgeburten sind immer traurig und können die betroffenen Eltern stark belasten. Wenn die Schwangerschaft aber intakt ist und bleibt, entwickeln sich die Embryos in der Regel normal und die Kinder kommen gesund zur Welt. Organschäden finden sich nicht, auch nicht mehr Missbildungen. Nur selten werden Kinder in MPN-Schwangerschaften zu früh geboren oder erleiden eine Wachstumsverzögerung.
Beeinflusst die Schwangerschaft die MPN-Krankheit der Mutter?
Planung einer Schwangerschaft
Bei einer ET oder anderen MPN-Krankheit muss nicht grundsätzlich von einer Schwangerschaft abgeraten werden. Die Krankheit hat nach derzeitigem Erkenntnisstand auch keinen Einfluss auf die Fruchtbarkeit. Es ist aber sinnvoll, sich schon im Vorfeld fachärztlich beraten zu lassen und – sofern erforderlich – die Medikation umzustellen.
Wenn eine Frau beispielsweise Hydroxyurea nimmt, das während der Schwangerschaft kontraindiziert ist, kann sie schon im Vorfeld stattdessen auf Interferon umgestellt werden, um die Gefahr für den Embryo zu minimieren. Ebenso sollte bei einer hohen Thrombozytenwert oder einem hohen Hämatokrit gegebenenfalls vor einer Schwangerschaft erst eine zytoreduktive Behandlung mit Interferon erfolgen. Die Chance auf eine erfolgreiche Schwangerschaft erhöht sich, wenn die MPN vorher gut kontrolliert ist.
Behandlung und Medikation während der Schwangerschaft
Vor allem hinsichtlich der ärztlichen Kontrolle, nicht nur aus gynäkologischer, sondern auch aus hämatologischer Sicht, sowie der Gabe von Medikamenten und dem eigenen Verhalten, gibt es einiges zu beachten.
Ein Muss: Regelmäßige Blutuntersuchungen
Wichtig sind neben den üblichen Vorsorgeuntersuchungen regelmäßige Blutkontrollen, um bei einem Anstieg der Blutwerte reagieren zu können. Beispielsweise ist bei Anzeichen einer eingeschränkten Durchblutung der Plazenta oder des kindlichen Kreislaufs oder bei Anzeichen einer Wachstumsretardierung die Therapie anzupassen, z.B. durch Steigerung der Heparin-Dosis.
Die Abstände der Blutkontrollen werden abhängig vom Einzelfall festgelegt. Bei einem problemlosen Verlauf der Schwangerschaft kann ein Abstand von vier Wochen ausreichend sein.
Idealerweise arbeiten dazu gynäkologische und hämatologische Praxis Hand in Hand. Alle betreuenden Ärzte sollten über die Krankheit informiert sein. In komplizierteren Fällen empfiehlt es sich außerdem, eine Zweitmeinung bei einer MPN-Spezialistin einzuholen. In praktisch jeder Region Deutschlands gibt es mittlerweile MPN-Experten. Schwangere Frauen können sich an eines der GSG-Studienzentren wenden.
Unklares Bild hinsichtlich des Nutzens von ASS
Um Gefäßverschlüsse in der Plazenta zu vermeiden, wird meist die Einnahme von niedrig dosiertem ASS (50-100 mg am Tag) als Aggregationshemmer empfohlen, um das Zusammenklumpen der Thrombozyten zu verhindern. Es ist eine Reihe von Fällen belegt, in denen Frauen, die ohne ASS-Einnahme Fehlgeburten hatten, mit ASS problemlos Kinder bekommen konnten.
Besonders bei PV-Patientinnen ist ASS notwendig und sollte grundsätzlich gegeben werden. Eine ET-Patientin, die nie Probleme hatte, kann hingegen in der Regel ohne ASS in die Schwangerschaft gehen.
Manchmal erleiden Frauen auch trotz ASS-Einnahme Fehlgeburten. Leider lässt sich nicht genau vorhersagen, welche Menge an Blutverdünnern im Einzelfall richtig ist. So kann es unter Umständen nötig sein, die Dosis zu reduzieren oder aber über ASS hinaus zusätzlich andere Blutverdünner, zum Beispiel Heparin, einzusetzen.
Interferon bei Hochrisikoschwangerschaften
Um die Gefahr von Blutungen, Thrombosen und Schwangerschaftskomplikationen zu verringern, empfiehlt sich möglicherweise eine medikamentöse Behandlung zur Reduktion der Thrombozytenzahl (=zytoreduktive Therapie). In der Schwangerschaft kommt hierfür praktisch nur niedrig dosiertes Interferon Alpha in Frage – über die Wirkung der anderen Medikamente, die zur Behandlung einer MPN genutzt werden, gibt es schlicht zu wenig Erfahrungen. Eine Schädigung des Fötus durch diese Medikamente kann nicht ausgeschlossen werden.
Vorteil des Interferons ist, dass die Moleküle relativ groß sind – es ist also wenig wahrscheinlich, dass das Medikament die Plazentaschranke passiert.
Eine Behandlung mit Interferon wird in der Regel dann in Erwägung gezogen, wenn die Thrombozytenzahl über 1,5 Millionen ansteigt, oder wenn auch unter ASS Fehlgeburten oder schwere Mikrozirkulationsstörungen vorgekommen sind. Außerdem wird dies empfohlen, wenn die Patientin im Vorfeld bereits schwere Thrombosen oder Blutungen hatte.
Durch die Behandlung sollten die Werte in den Normbereich (d.h. unter 400.000) gesenkt werden. Werte oberhalb des Normbereichs (auch wenn diese unter den außerhalb der Schwangerschaft bisweilen tolerierten persönlichen Werten liegen) senken das Risiko möglicherweise nicht ausreichend. Im Einzelfall kann man auch höhere Zielwerte akzeptieren.
Eine Auswertung von 34 Risikoschwangerschaften in Deutschland (Schrickel et al. 2020) hat ermutigende Ergebnisse der Interferon-Behandlung gezeigt. Mit Interferon stieg die Rate erfolgreicher Schwangerschaften trotz erhöhtem Risiko auf 73,5 Prozent, gegenüber 60 Prozent ohne Interferon. Durch zusätzliche Gabe von ASS und Heparin verbesserten sich die Aussichten noch weiter.
Interferon im ersten Trimester?
Dazu gibt es keine eindeutigen Aussagen und noch keinen Konsens unter den Experten. Einige Ärztinnen empfehlen, Interferon in den ersten Monaten zu pausieren, da sich zwischen der dritten und der achten Schwangerschaftswoche die Organe des Kindes herausbilden. Andere plädieren für eine Weiterbehandlung mit Interferon, insbesondere um die Mutter zu schützen. Denn diese hat ja nicht ohne Grund die zellreduzierende Therapie begonnen. Letztlich wird es immer eine Einzelfallentscheidung sein.
Nach bisherigem Kenntnisstand hat Interferon selbst in dieser sensiblen Phase keine schädigende Wirkung auf den Embryo. Das haben auch Erfahrungen mit Patientinnen mit Multipler Sklerose gezeigt, die allerdings in der Regel mit Interferon Beta behandelt werden. Wenn eine Behandlung der MPN nicht zwingend erforderlich ist (insbesondere unter ET) ist es natürlich aus Sicherheitsgründen in der Regel trotzdem besser, ohne Interferon in die Schwangerschaft zu gehen.
Ursache unbekannt: sinkende Thrombozyten im Verlauf der Schwangerschaft
Immer wieder sinken in einer Schwangerschaft die Thrombozyten auch ohne Medikamenteneinnahme. Dies bedeutet allerdings leider nicht automatisch ein geringeres Risiko. Warum es zu einer Verminderung der Blutplättchen kommt, weiß man bislang noch nicht. In jeder Schwangerschaft erhöht sich das Blutplasma-Volumen, so dass die Zahl der roten Blutkörperchen und der Thrombozyten in Relation dazu abnimmt. Der Abfall der Thrombozyten ist bei ET-Patientinnen jedoch stärker ausgeprägt als bei gesunden Schwangeren. Es wird vermutet, dass im Rahmen der Schwangerschaft durch die Plazenta oder eventuell auch durch den Fötus ein Faktor gebildet wird, der die Produktion der Blutplättchen absenkt. Genaueres ist hierzu aber bisher nicht bekannt.
Hydroxyurea, Anagrelide, Jakavi, Fedratinib: zu wenig Erkenntnisse
Diese Medikamente sollten in einer Schwangerschaft nicht genommen werden. Es gibt bei weitem nicht genügend Daten, ob diese möglicherweise den Embryo schädigen könnten. Zumindest ist das Risiko bei Hydroxyurea und Anagrelid höher, dass diese die Plazentaschranke passieren. Anagrelide könnten theoretisch in den Blutkreislauf des Kindes geraten und Blutungen auslösen. Bei einem Zytostatikum (=Chemotherapeutikum) wie Hydroxyurea besteht vor allem bei Einnahme in den ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft die Gefahr, dass es zu Missbildungen beim Kind führen könnte. Deshalb wird empfohlen, Hydroxyurea drei bis sechs Monate vor einer geplanten Schwangerschaft abzusetzen. Das gleiche gilt für Jakavi und Fedratinib, die in den Stoffwechsel eingreifen und ein erhebliches Missbildungspotenzial haben, so dass sie dringend abgesetzt werden müssen.
Was tun, wenn eine Patientin bereits medikamentös behandelt wird?
Leider lässt sich im Leben nicht immer alles perfekt planen und manchmal kommt es eben anders als gedacht. Trotzdem sollte sich eine Frau, die unwissentlich schwanger wurde und zunächst weiter Hydroxyurea oder Anagrelid genommen hat, nicht zu viele Sorgen machen. Meistens passiert auch in diesen Fällen nichts. Trotzdem sollte sie das Medikament schnellstmöglich absetzen. Denn es geht schließlich darum, möglichst jedes Risiko auszuschließen.
PV: Hämatokrit möglichst unter 40 Prozent halten
Für Frauen mit PV ist besonders wichtig, dass während der Schwangerschaft auf den Hämatokrit geachtet wird. Der Hämatokrit gibt den prozentualen Anteil an festen Blutkörperchen im Blutplasma an. Das Blutplasma-Volumen erhöht sich in einer Schwangerschaft durch den Blutkreislauf des Kindes grundsätzlich. Dennoch muss das nicht zwangsläufig mit einer „Verdünnung“ des Blutes einhergehen. Aus diesem Grund wird empfohlen, den Hämatokrit auf 40 Prozent zu begrenzen. Weniger wäre besser, jedoch können bei einer PV oft keine niedrigeren Werte erzielt werden. Dadurch soll verhindert werden, dass es aufgrund der reduzierten Fließeigenschaft (Viskosität) des Blutes zu einer Mangelversorgung des Kindes oder zu Thrombosen bei der Mutter kommt.
Eisenmangel in der Schwangerschaft: darauf sollten PV-Patientinnen achten
Erfahrungsgemäß kommt es in der Schwangerschaft häufig zu einem Eisenmangel. Eisenmangel ist bei PV-Patientinnen jedoch grundsätzlich erwünscht und die Gabe von Eisenpräparaten gilt daher als kontraindiziert, da die Gefahr eines überproportionalen Anstiegs des Hämatokrits besteht. Diese Frage muss im Einzelfall unbedingt mit dem Gynäkologen und der Hämatologin abgestimmt und besonders vorsichtig erwogen werden.
Wenn bei der werdenden Mutter die Milz vergrößert ist (Splenomegalie), sollte diese während einer Schwangerschaft beobachtet werden. Grundsätzlich ist aber im Bauch der Schwangeren viel Platz, so dass in der Regel keine größeren Komplikationen zu erwarten sind.
Was muss ich während der Schwangerschaft noch beachten?
Viel trinken, regelmäßige Bewegung, kein Alkohol oder Nikotin – das sind Grundsätze, die generell für Schwangere gelten und erst recht für MPN-Patientinnen. Es empfiehlt sich zudem das Tragen von Thrombosestützstrümpfen, vor allem bei vorausgegangenen Thrombosen.
Kurz vor und nach der Geburt
Wegen der Blutungsgefahr bei der Geburt sollte ASS zwei bis vier Wochen vor dem erwarteten Entbindungstermin abgesetzt und stattdessen Heparin gespritzt werden. Wichtig ist, dass die Patientin auch nach der Geburt eine blutverdünnende Therapie bekommt – ist doch die Thrombosegefahr im Wochenbett am höchsten. Sie sollte Heparin und/oder niedrig dosiertes ASS bis sechs Wochen nach der Geburt erhalten.
Was die Geburt angeht, wird zu einer normalen Entbindung geraten, sofern ein Kaiserschnitt medizinisch nicht notwendig ist. Ein Kaiserschnitt ist mit einem höheren Risiko für eine Blutung oder Thrombose verbunden.
Aufgrund des erhöhten Risikos von stärkeren Blutungen auch bei der Geburt sollte die Gefahr möglicher Komplikationen mit der Geburtsklinik und der Hebamme besprochen werden. Es empfiehlt sich sicherheitshalber die Entbindung in einer Klinik mit hämatologischer Abteilung sowie einer angeschlossenen Kinderklinik.
Stillen mit Interferon
Wie schon bei der Frage zur Interferon-Gabe unter der Schwangerschaft, gibt es auch hier wenig belastbare Daten. Aus den vielen Schwangerschaften von Multiple-Sklerose-Patientinnen, die mit dem verwandten Interferon Beta behandelt wurden, wissen die Experten, dass bisher keine Nebenwirkungen bei gestillten Kindern aufgetreten sind. Sie sind aufgrund der Pharmakokinetik auch nicht zu erwarten. Auf der Embryotox-Seite der Berliner Charité wird Interferon in Schwangerschaft und Stillzeit als „Medikament der Wahl“ gekennzeichnet. Dennoch sei eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung nötig.
Der Mindener Hämatologe und MPN-Spezialist Martin Griesshammer, der schon viele Schwangerschaften von MPN-Patientinnen begleitet hat, hält das Risiko trotz der schwachen Datenlage für überschaubar. Das Stillen sei als Kontaktaufnahme der Mutter mit dem Kind und aufgrund der vielen Vorteile, die es für den Säugling mit sich bringt, viel stärker zu gewichten als das geringe Risiko eines Übergangs von Interferon in die Muttermilch. Deshalb empfiehlt er uneingeschränkt das Stillen auch unter Interferon.
Kann man das Risiko von Fehlgeburten senken?
Leider lassen sich darüber keine gesicherten Prognosen abgeben, zumal auch viele gesunde Frauen Schwangerschaften durch eine Fehlgeburt verlieren. Es lässt sich zudem nicht genau vorhersagen, wie der Körper auf eine Schwangerschaft reagiert. Um Gefäßverschlüsse in der Plazenta und Komplikationen für die Mutter zu vermeiden, wird meist die Einnahme von niedrig dosiertem ASS (50 – 100 mg pro Tag) empfohlen. Im Einzelfall wird zu entscheiden sein, ob die Patientin und ihr ungeborenes Kind zusätzlich durch die Gabe eines Blutverdünners wie niedermolekularem Heparin zu schützen ist, das auch in der Schwangerschaft eingesetzt werden kann.
Wenn es doch zu einer Fehlgeburt kommt: Pathologische Untersuchung der Plazenta ratsam
Natürlich wünschen wir allen werdenden Müttern und Vätern, dass ihnen diese Erfahrung erspart bleibt. Bei einer Fehlgeburt gibt es keinen wirklichen Trost und wohl auch kein Patentrezept, wie man damit umgehen soll und kann.
Dennoch sollte zumindest eines nach Möglichkeit getan werden, auch wenn es in der akuten Situation sehr schwerfällt: eine pathologische Untersuchung der die Plazenta. Denn damit können unter Umständen Rückschlüsse auf die Ursache der Fehlgeburt gezogen werden.
Hierbei ist es wichtig zu untersuchen, ob ein Gefäßverschluss oder eine Blutung die Ursache für die Fehlgeburt war. Dies kann für die weitere Behandlung, vor allem im Hinblick auf eine neue Schwangerschaft, wichtige Hinweise liefern. Leider gehört eine solche Untersuchung nicht zum Standard. Die Betroffenen müssen die behandelnden Ärzte selbst darauf hinweisen. So schwer dies in einer solchen Extremsituation fallen mag – es handelt sich möglicherweise um eine deutlich erhöhte Chance für eine erfolgreiche nächste Schwangerschaft!
Und was ist mit den Vätern?
Grundsätzlich können Männer mit MPN-Erkrankung entspannter an eine Schwangerschaft herangehen als ihre Mitpatientinnen. Selbst wenn ein Vater Medikamente wie beispielsweise Hydroxyurea nimmt, ist eine Schädigung des Kindes nicht zu erwarten. Denn für Spermien gilt das Alles-oder-Nichts-Prinzip. Nur wenn mit den Spermien alles in Ordnung ist, kann es überhaupt zu einer Befruchtung der Eizelle kommen.
Auf Nummer sicher gehen
Trotzdem wird vom Hersteller empfohlen, dass auch Männer Hydroxyurea möglichst drei Monate vor einer geplanten Schwangerschaft absetzen, wegen der (wenn auch unwahrscheinlichen) Gefahr einer Missbildung beim Kind. Spermien brauchen nämlich 72 Tage (zehn Wochen) bis zur Reifung. Die Einnahme von Hydroxyurea kann zudem dazu führen, dass die Funktionsfähigkeit der Spermien eingeschränkt und damit die Zeugungsfähigkeit vorübergehend geringer ist. Natürlich muss jeweils abgewogen werden, ob das bei der Grunderkrankung des Vaters vertretbar ist. Im Einzelfall kann es angeraten sein, die Behandlung auf Interferon oder Anagrelide umzustellen.
Sind MPN-Krankheiten vererbbar?
MPN-Krankheiten sind nach derzeitigem Wissensstand nicht vererbbar. Allerdings treten sehr selten in manchen Familien gehäuft MPN-Erkrankungen auf. Die genauen Mechanismen sind noch nicht geklärt. Gegenwärtig geht die Wissenschaft davon aus, dass zwar nicht die Krankheit selbst, aber eine gewisse Prädisposition vererbt werden kann. Extrem selten sind beispielsweise Keimbahnmutationen, u.a. im JAK2-Gen, beschrieben worden, so dass eine Vererbung stattfand. Das muss aber noch lange nicht bedeuten, dass das Kind auch eine MPN-Krankheit entwickelt.
Austausch mit anderen schwangeren MPN-Patientinnen
Im MPN-Netzwerk haben bisher etliche Frauen Schwangerschaften erfolgreich ausgetragen. Leider erlitten einige auch Fehlgeburten. Für Schwangere, ehemals Schwangere und Frauen, die es noch werden wollen, gibt es ein geschlossenes Unter-Forum, in dem wir alle Fragen in einem geschützten Raum diskutieren können. Bei Interesse kann man sich nach der Registrierung an die zuständigen Moderatorinnen wenden, um diesem Forum beizutreten.
Bitte um Mithilfe
Der Hämatologe und MPN-Spezialist Martin Griesshammer (Klinikum Minden) sammelt Daten zu Schwangerschaften von an MPN erkrankten Frauen. Ziel ist es, das Wissen zu vergrößern und somit die Betreuung schwangerer MPN-Patientinnen zu verbessern. Jeder Fall, der dokumentiert werden kann, ist für die Forscher wertvoll. Schließlich gibt es noch immer viele Fragen. Betroffene, die ihre Daten zur Verfügung stellen möchten, können sich per E-Mail an Prof. Griesshammer wenden: martin.griesshammer(at)klinikum-minden.de. Er steht auch für Beratungen und Zweitmeinungen zur Verfügung.
Wir danken Prof. Martin Griesshammer, Minden, für seine fachliche Beratung und das Gegenlesen dieses Textes.
Quellen
Podcast der österreichischen MPN-Selbsthilfeorganisation „mpn-austria“ von Juli 2022, Gespräch Carina Oelerich mit Prof. Martin Griesshammer, Minden:
https://podcast.mpnaustria.com/1849132/10986001-folge-7-schwangerschaft-und-mpn/
Webseminar des MPN-Netzwerks von Januar 2021 zum Thema „Junge MPN-Patienten, Familienplanung, Medikamente“, mit Prof. Eva Lengfelder, Mannheim und Prof. Martin Griesshammer, Minden (der Vortrag von Prof. Griesshammer beginnt bei 1 Stunde 17 Minuten):
https://forum.mpn-netzwerk.de/filemanager/source/Fotos_und_Videos/webinare/2020-2021/4_MPN_Netz_Webseminar_28_Jan_2021.mp4
Dieser Beitrag steht ausschließlich registrierten Mitgliedern im Forum (Mediathek) zur Verfügung.
Leitlinie zur ET, Punkt 6.3.1:
https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/essentielle-oder-primaere-thrombozythaemie-et/@@guideline/html/index.html#ID0EMNAE
Leitlinie zur PV, Punkt 6.3.4:
https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/polycythaemia-vera-pv/@@guideline/html/index.html#ID0EQGAG
Griesshammer M, Sadjadian P, Wille K: Contemporary management of patients with bcr-abl negative myeloproliferative neoplasms during pregnancy. Exp Rev Hematology 11:697-706, 2018. https://doi.org/10.1080/17474086.2018.1506325
Schrickel L, Heidel FH, Sadjadian P, et al.: Interferon alpha for essential thrombocythemia during 34 high-risk pregnancies: outcome and safety. J Cancer Res Clin Oncol 147:1481-1491, 2021. https://doi.org/10.1007/s00432-020-03430-4
Arzneimittelinformation der Charité, Interferon beta-1b,
https://www.embryotox.de/arzneimittel/details/ansicht/medikament/interferon-beta-1b/
(abgerufen am 13.2.2023)