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Kann ich mit MPN ein Kind bekommen?

MPN und Schwangerschaft

Vorbemerkung

Die Einschätzung zu diesem Thema hat sich fundamental gewandelt. Wurde noch vor fast 30 Jahren schwangeren Patientinnen mit myeloproliferativen Neoplasien (MPN) zum Abbruch geraten, haben mittlerweile viele Frauen mit MPN-Krankheiten gesunde Kinder zur Welt gebracht. Die Ärzte trauen sich inzwischen sogar an schwierige Fälle heran, etwa Schwangerschaften nach vorherigen Thrombosen oder Zwillingsschwangerschaften. Auch im MPN-Netzwerk hat eine ganze Reihe von Frauen Kinder bekommen.

Es gibt einige Dinge zu beachten und bestimmte Risiken sind gegenüber einer „normalen“ Schwangerschaft etwas erhöht.

Wichtig ist aber zu wissen, dass das Risiko vor allem dann höher ist, wenn die MPN vor der Schwangerschaft noch nicht entdeckt war. Bei einer bekannten MPN lässt sich das Risiko durch entsprechende Vorsorgemaßnahmen minimieren. Außerdem kann man Komplikationen in der Regel gut behandeln und durch engmaschige Beobachtung und gegebenenfalls medikamentöse Therapie erheblich reduzieren.

Studienlage

Es gibt bisher erst eine Handvoll Studien, in denen die Erfahrungen von schwangeren MPN-Patientinnen ausgewertet werden. Dies liegt in der Natur der Sache, da es sich bei den MPN um seltene Krankheiten handelt und selbst unter den von MPN betroffenen Frauen nur eine Minderheit im gebärfähigen Alter ist – die Diagnose erfolgt vielfach erst in der zweiten Lebenshälfte.

Die Mehrzahl der Studien gibt es zu Schwangerschaft mit ET.

Risiken einer Schwangerschaft mit MPN

Bei Schwangerschaften unter einer MPN-Krankheit muss zwischen Risiken für die werdende Mutter und für das ungeborene Kind unterschieden werden.

Risiko für die Mutter – Thrombose oder Blutung

Hauptrisiko für den Embryo – Fehlgeburt

Abgesehen von Fehlgeburten, gibt es weitere Risiken für die Entwicklung des Embryos?

Beeinflusst die Schwangerschaft die MPN-Krankheit der Mutter?

Planung einer Schwangerschaft

Bei einer ET oder anderen MPN-Krankheit muss nicht grundsätzlich von einer Schwangerschaft abgeraten werden. Die Krankheit hat nach derzeitigem Erkenntnisstand auch keinen Einfluss auf die Fruchtbarkeit. Es ist aber sinnvoll, sich schon im Vorfeld fachärztlich beraten zu lassen und – sofern erforderlich – die Medikation umzustellen.

Wenn eine Frau beispielsweise Hydroxyurea nimmt, das während der Schwangerschaft kontraindiziert ist, kann sie schon im Vorfeld stattdessen auf Interferon umgestellt werden, um die Gefahr für den Embryo zu minimieren. Ebenso sollte bei einer hohen Thrombozytenwert oder einem hohen Hämatokrit gegebenenfalls vor einer Schwangerschaft erst eine zytoreduktive Behandlung mit Interferon erfolgen. Die Chance auf eine erfolgreiche Schwangerschaft erhöht sich, wenn die MPN vorher gut kontrolliert ist.

Behandlung und Medikation während der Schwangerschaft

Vor allem hinsichtlich der ärztlichen Kontrolle, nicht nur aus gynäkologischer, sondern auch aus hämatologischer Sicht, sowie der Gabe von Medikamenten und dem eigenen Verhalten, gibt es einiges zu beachten.

Ein Muss: Regelmäßige Blutuntersuchungen

Unklares Bild hinsichtlich des Nutzens von ASS

Interferon bei Hochrisikoschwangerschaften

Ursache unbekannt: sinkende Thrombozyten im Verlauf der Schwangerschaft

Hydroxyurea, Anagrelide, Jakavi, Fedratinib: zu wenig Erkenntnisse

Was tun, wenn eine Patientin bereits medikamentös behandelt wird?

PV: Hämatokrit möglichst unter 40 Prozent halten

Eisenmangel in der Schwangerschaft: darauf sollten PV-Patientinnen achten

Schwangere MPN-Patientinnen mit vergrößerter Milz

Was muss ich während der Schwangerschaft noch beachten?

Kurz vor und nach der Geburt

Wegen der Blutungsgefahr bei der Geburt sollte ASS zwei bis vier Wochen vor dem erwarteten Entbindungstermin abgesetzt und stattdessen Heparin gespritzt werden. Wichtig ist, dass die Patientin auch nach der Geburt eine blutverdünnende Therapie bekommt – ist doch die Thrombosegefahr im Wochenbett am höchsten. Sie sollte Heparin und/oder niedrig dosiertes ASS bis sechs Wochen nach der Geburt erhalten.

Was die Geburt angeht, wird zu einer normalen Entbindung geraten, sofern ein Kaiserschnitt medizinisch nicht notwendig ist. Ein Kaiserschnitt ist mit einem höheren Risiko für eine Blutung oder Thrombose verbunden.

Aufgrund des erhöhten Risikos von stärkeren Blutungen auch bei der Geburt sollte die Gefahr möglicher Komplikationen mit der Geburtsklinik und der Hebamme besprochen werden. Es empfiehlt sich sicherheitshalber die Entbindung in einer Klinik mit hämatologischer Abteilung sowie einer angeschlossenen Kinderklinik.

Stillen mit Interferon

Wie schon bei der Frage zur Interferon-Gabe unter der Schwangerschaft, gibt es auch hier wenig belastbare Daten. Aus den vielen Schwangerschaften von Multiple-Sklerose-Patientinnen, die mit dem verwandten Interferon Beta behandelt wurden, wissen die Experten, dass bisher keine Nebenwirkungen bei gestillten Kindern aufgetreten sind. Sie sind aufgrund der Pharmakokinetik auch nicht zu erwarten. Auf der Embryotox-Seite der Berliner Charité wird Interferon in Schwangerschaft und Stillzeit als „Medikament der Wahl“ gekennzeichnet. Dennoch sei eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung nötig.

Der Mindener Hämatologe und MPN-Spezialist Martin Griesshammer, der schon viele Schwangerschaften von MPN-Patientinnen begleitet hat, hält das Risiko trotz der schwachen Datenlage für überschaubar. Das Stillen sei als Kontaktaufnahme der Mutter mit dem Kind und aufgrund der vielen Vorteile, die es für den Säugling mit sich bringt, viel stärker zu gewichten als das geringe Risiko eines Übergangs von Interferon in die Muttermilch. Deshalb empfiehlt er uneingeschränkt das Stillen auch unter Interferon.

Kann man das Risiko von Fehlgeburten senken?

Leider lassen sich darüber keine gesicherten Prognosen abgeben, zumal auch viele gesunde Frauen Schwangerschaften durch eine Fehlgeburt verlieren. Es lässt sich zudem nicht genau vorhersagen, wie der Körper auf eine Schwangerschaft reagiert. Um Gefäßverschlüsse in der Plazenta und Komplikationen für die Mutter zu vermeiden, wird meist die Einnahme von niedrig dosiertem ASS (50 – 100 mg pro Tag) empfohlen. Im Einzelfall wird zu entscheiden sein, ob die Patientin und ihr ungeborenes Kind zusätzlich durch die Gabe eines Blutverdünners wie niedermolekularem Heparin zu schützen ist, das auch in der Schwangerschaft eingesetzt werden kann.

Wenn es doch zu einer Fehlgeburt kommt: Pathologische Untersuchung der Plazenta ratsam

Natürlich wünschen wir allen werdenden Müttern und Vätern, dass ihnen diese Erfahrung erspart bleibt. Bei einer Fehlgeburt gibt es keinen wirklichen Trost und wohl auch kein Patentrezept, wie man damit umgehen soll und kann.

Dennoch sollte zumindest eines nach Möglichkeit getan werden, auch wenn es in der akuten Situation sehr schwerfällt: eine pathologische Untersuchung der die Plazenta. Denn damit können unter Umständen Rückschlüsse auf die Ursache der Fehlgeburt gezogen werden.

Hierbei ist es wichtig zu untersuchen, ob ein Gefäßverschluss oder eine Blutung die Ursache für die Fehlgeburt war. Dies kann für die weitere Behandlung, vor allem im Hinblick auf eine neue Schwangerschaft, wichtige Hinweise liefern. Leider gehört eine solche Untersuchung nicht zum Standard. Die Betroffenen müssen die behandelnden Ärzte selbst darauf hinweisen. So schwer dies in einer solchen Extremsituation fallen mag – es handelt sich möglicherweise um eine deutlich erhöhte Chance für eine erfolgreiche nächste Schwangerschaft!

Und was ist mit den Vätern?

Grundsätzlich können Männer mit MPN-Erkrankung entspannter an eine Schwangerschaft herangehen als ihre Mitpatientinnen. Selbst wenn ein Vater Medikamente wie beispielsweise Hydroxyurea nimmt, ist eine Schädigung des Kindes nicht zu erwarten. Denn für Spermien gilt das Alles-oder-Nichts-Prinzip. Nur wenn mit den Spermien alles in Ordnung ist, kann es überhaupt zu einer Befruchtung der Eizelle kommen.

Auf Nummer sicher gehen

Trotzdem wird vom Hersteller empfohlen, dass auch Männer Hydroxyurea möglichst drei Monate vor einer geplanten Schwangerschaft absetzen, wegen der (wenn auch unwahrscheinlichen) Gefahr einer Missbildung beim Kind. Spermien brauchen nämlich 72 Tage (zehn Wochen) bis zur Reifung. Die Einnahme von Hydroxyurea kann zudem dazu führen, dass die Funktionsfähigkeit der Spermien eingeschränkt und damit die Zeugungsfähigkeit vorübergehend geringer ist. Natürlich muss jeweils abgewogen werden, ob das bei der Grunderkrankung des Vaters vertretbar ist. Im Einzelfall kann es angeraten sein, die Behandlung auf Interferon oder Anagrelide umzustellen.

Sind MPN-Krankheiten vererbbar?

MPN-Krankheiten sind nach derzeitigem Wissensstand nicht vererbbar. Allerdings treten sehr selten in manchen Familien gehäuft MPN-Erkrankungen auf. Die genauen Mechanismen sind noch nicht geklärt. Gegenwärtig geht die Wissenschaft davon aus, dass zwar nicht die Krankheit selbst, aber eine gewisse Prädisposition vererbt werden kann. Extrem selten sind beispielsweise Keimbahnmutationen, u.a. im JAK2-Gen, beschrieben worden, so dass eine Vererbung stattfand. Das muss aber noch lange nicht bedeuten, dass das Kind auch eine MPN-Krankheit entwickelt.

Austausch mit anderen schwangeren MPN-Patientinnen

Im MPN-Netzwerk haben bisher etliche Frauen Schwangerschaften erfolgreich ausgetragen. Leider erlitten einige auch Fehlgeburten. Für Schwangere, ehemals Schwangere und Frauen, die es noch werden wollen, gibt es ein geschlossenes Unter-Forum, in dem wir alle Fragen in einem geschützten Raum diskutieren können. Bei Interesse kann man sich nach der Registrierung an die zuständigen Moderatorinnen wenden, um diesem Forum beizutreten.

Bitte um Mithilfe

Der Hämatologe und MPN-Spezialist Martin Griesshammer (Klinikum Minden) sammelt Daten zu Schwangerschaften von an MPN erkrankten Frauen. Ziel ist es, das Wissen zu vergrößern und somit die Betreuung schwangerer MPN-Patientinnen zu verbessern. Jeder Fall, der dokumentiert werden kann, ist für die Forscher wertvoll. Schließlich gibt es noch immer viele Fragen. Betroffene, die ihre Daten zur Verfügung stellen möchten, können sich per E-Mail an Prof. Griesshammer wenden: martin.griesshammer(at)klinikum-minden.de. Er steht auch für Beratungen und Zweitmeinungen zur Verfügung.

Wir danken Prof. Martin Griesshammer, Minden, für seine fachliche Beratung und das Gegenlesen dieses Textes.

Quellen

Podcast der österreichischen MPN-Selbsthilfeorganisation „mpn-austria“ von Juli 2022, Gespräch Carina Oelerich mit Prof. Martin Griesshammer, Minden:
https://podcast.mpnaustria.com/1849132/10986001-folge-7-schwangerschaft-und-mpn/

Webseminar des MPN-Netzwerks von Januar 2021 zum Thema „Junge MPN-Patienten, Familienplanung, Medikamente“, mit Prof. Eva Lengfelder, Mannheim und Prof. Martin Griesshammer, Minden (der Vortrag von Prof. Griesshammer beginnt bei 1 Stunde 17 Minuten):
https://forum.mpn-netzwerk.de/filemanager/source/Fotos_und_Videos/webinare/2020-2021/4_MPN_Netz_Webseminar_28_Jan_2021.mp4
Dieser Beitrag steht ausschließlich registrierten Mitgliedern im Forum (Mediathek) zur Verfügung.

Leitlinie zur ET, Punkt 6.3.1:
https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/essentielle-oder-primaere-thrombozythaemie-et/@@guideline/html/index.html#ID0EMNAE

Leitlinie zur PV, Punkt 6.3.4:
https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/polycythaemia-vera-pv/@@guideline/html/index.html#ID0EQGAG

Griesshammer M, Sadjadian P, Wille K: Contemporary management of patients with bcr-abl negative myeloproliferative neoplasms during pregnancy. Exp Rev Hematology 11:697-706, 2018. https://doi.org/10.1080/17474086.2018.1506325

Schrickel L, Heidel FH, Sadjadian P, et al.: Interferon alpha for essential thrombocythemia during 34 high-risk pregnancies: outcome and safety. J Cancer Res Clin Oncol 147:1481-1491, 2021. https://doi.org/10.1007/s00432-020-03430-4

Arzneimittelinformation der Charité, Interferon beta-1b,
https://www.embryotox.de/arzneimittel/details/ansicht/medikament/interferon-beta-1b/
(abgerufen am 13.2.2023)