Diagnostiziert wurde die Primäre Myelofibrose (PMF) durch Zufall im Frühjahr 2011. Plötzlich konnte ich erstmals viele Symptome zuordnen, die mich seit Jahren latent beschäftigt hatten: Chronische Müdigkeit, Schmerzen in Muskeln und Gelenken, häufige Infekte, Abnahme der Leistungsfähigkeit, Schmerzen im linken Oberbauch durch die auf zirka 25 Zentimeter angeschwollene Milz. Obwohl ich es nicht belegen kann, bin ich im Rückblick sicher, dass die ersten Symptome der PMF bereits im Alter von 19 Jahren aufgetreten sind (Sehstörungen, eine sehr häufige Begleiterscheinung bei MPN). Die frühesten Blutbilder mit deutlichen Auffälligkeiten datieren aus dem Jahr 2004. Meiner Hausärztin war das nicht aufgefallen.
Sechs Jahre Aufschub nach der Diagnose
Dank eines neuen Medikaments (Jakavi®), speziell gegen die Symptome der PMF, ist es mir gelungen, den Zeitpunkt der Transplantation sechs Jahre hinauszuschieben. Dass diese Phase zu Ende ging, zeichnete sich Anfang 2016 ab: Damals setzten nach einer emotionalen Belastungssituation schwere Schmerzzustände vor allem in den Beinen ein, die sich mit Schmerzmitteln nur unzureichend lindern ließen. Als Folge bekam ich hochdosiert Kortison, was sehr gut half. Nach vier Monaten täglichen Leidens bis hin zu Stürzen, weil ich meine Muskeln nicht mehr kontrollieren konnte, war die plötzliche Schmerzfreiheit ein Segen. Die Symptome hatten wir damit zwar im Griff, aber nicht die Ursache. Hinzu kam, dass sich mein Gesamtbefinden trotz Jakavi® weiter verschlechtert hatte, weil das Medikament die Krankheit nicht aufzuhalten vermag. Die Tatsache, dass ich seit 2016 nur noch zwei bis drei Stunden pro Tag arbeiten konnte, und die ständige Müdigkeit machten deutlich, dass der Zeitpunkt der SZT gekommen war und ein weiterer Aufschub nicht mehr wirklich Sinn ergab. Zumal das „Mantra“ der Transplantationsmediziner lautet: „Wer schlecht rein geht, kommt schlecht raus.“ Und ich wollte unbedingt gut rein- und noch besser wieder rauskommen..
Essentiell für den Erfolg: Die „Chemie“ mit dem Arzt muss stimmen
Nach einem langen Gespräch mit meinem Hämatologen habe ich mir dann im Oktober 2016 einen Transplantationsmediziner meines Vertrauens gesucht und – in diesem Falle sie – am Helios-Klinikum Berlin-Buch gefunden (Frau Dr. Herrad Baurmann, Spezialistin für die Transplantation von PMF-Patienten). Wichtig ist, dass man absolutes Vertrauen in seinen Arzt oder seine Ärztin hat. Denn wie sagte mein Hämatologe mal so schön: „Eine SZT ist nicht der richtige Zeitpunkt, um Diskussionen mit seinem Arzt anzufangen.“ Dem kann ich nur zustimmen. Wichtig ist, dass die Chemie stimmt und der Arzt oder die Ärztin über langjährige Erfahrung mit allogenen Transplantationen verfügt. Zusätzliche PMF-Erfahrung ist natürlich wünschenswert, aber meiner Ansicht nach gar nicht so zwingend. Das Thema Erfahrung (= Anzahl allogener Stammzelltransplantationen pro Jahr) sollte man im Gespräch unbedingt offen ansprechen.
Nach erfolgreicher Arztsuche habe ich noch bis Ende März 2017 gearbeitet, mein Büro dann untervermietet (ich bin Freiberuflerin) und meine Angelegenheiten geregelt (Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, etc.). Außerdem bin ich noch einmal vier Wochen in den Urlaub gefahren, um Kraft zu tanken für die SZT. In der Zeit wurde auch eine zu 100 Prozent passende Spenderin gefunden, lediglich unsere Blutgruppen waren verschieden, weshalb ich durch die SZT eine neue Blutgruppe bekommen habe.
Kein leichter Klinikaufenthalt
Am 27. Juni 2017 war es dann soweit. Begleitet von meinem Bruder, habe ich mich auf den Weg nach Berlin gemacht und dort insgesamt acht Wochen stationär gelegen. Das „gelegen“ ist durchaus wörtlich zu nehmen, denn aufgrund von Übelkeit und Erbrechen, gegen die kein Kraut gewachsen war, habe ich das Bett in der Zeit kaum verlassen. Zudem quälte mich infolge der Chemotherapie eine unfassbar schmerzhafte Entzündung der Speiseröhre, die die Gabe schwerster Schmerzmittel notwendig machte.
Die körperlichen Probleme haben mich psychisch komplett ausgelaugt, sodass mir irgendwann alles egal war, ich wollte nur noch schlafen, denn schlafen bedeutete keine Übelkeit und keine Schmerzen. Einer meiner Ärzte sagte mir damals, dass PMF-Patienten mitunter insofern vor psychologischen Schwierigkeiten stehen können, als vor dem Klinikaufenthalt keine chemotherapeutische Vorbehandlung stattfindet wie zum Beispiel bei einer Leukämie. Will heißen: Während PMF-Patienten in der Regel relativ fit in die SZT gehen, haben Leukämie-Patienten bereits Erfahrung mit teilweise heftigen Chemo-Nebenwirkungen. Bei uns PMFlern ist die „Fallhöhe“ also ungleich größer. Entsprechend belastend war es, zu erleben, dass die Therapie mich zunächst schwer krank gemacht hat, bevor es ganz langsam wieder bergauf ging. Darauf war ich trotz aller Recherchen und vieler Gespräche mit Betroffenen, die die SZT bereits hinter sich hatten, nicht ansatzweise vorbereitet gewesen – wohl auch deshalb, weil keine SZT wie die andere ist. Jede(r) Betroffene macht ihre/seine ureigenen Erfahrungen. Welche das sind, bleibt ein Überraschungspaket, im Guten wie im Schlechten. Ich weiß nicht, was ich in der Zeit ohne meinen wunderbaren Bruder gemacht hätte, der ganz oft bei mir in Berlin war und mir beigestanden hat (genau wie viele meiner Freundinnen und Freunde).
Erfolgreicher Therapieverlauf
So schlimm die Zeit in der Klinik subjektiv für mich war, bestand aus Sicht der Ärzte zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für mein Leben. Tatsächlich lief medizinisch alles wie am Schnürchen: Die Stammzellen meiner Spenderin begannen schneller zu wachsen und zu arbeiten als nach einer PMF allgemein zu erwarten ist, und bereits am Tag +13 nach der Transplantation zeigten sich die ersten weißen Blutkörperchen. Auch der Chimärismus lag praktisch von Anfang an bei über 95 Prozent und stieg sehr schnell auf 100 Prozent – ein Zeichen, dass sich in meinem Blut keine kranken Zellen mehr befinden, sondern ausschließlich die gesunden Zellen meiner Spenderin. Das ist zum Glück bis heute so geblieben.
Bei meiner Entlassung hatte ich acht Kilo weniger auf den Rippen und war völlig entkräftet. Nach einem Monat in den heimischen vier Wänden ging es dann in die Anschlussheilbehandlung nach Triberg in den Schwarzwald. In dieser Zeit entwickelte ich eine sogenannte GvHD (Graft-versus-Host-Disease = Abstoßungsreaktion der Spenderzellen gegen meinen Körper), die vor allem die Haut betraf, was zu braunen Flecken am ganzen Körper geführt hat. Zudem waren sämtliche Schleimhäute betroffen, auch die Augen. Der Darm blieb zum Glück verschont. Seit knapp einem halben Jahr gehe ich alle vierzehn Tage zur extrakorporalen Photopherese (ECP). Diese Therapie, die einer Blutwäsche ähnelt, hilft dabei, die Abstoßungsreaktionen der Spenderzellen zu dämpfen. Bisher klappt das sehr gut. Lästig sind nur die Kämpfe mit der Krankenkasse, die die aufwendige Behandlung immer nur für jeweils drei Monate bewilligt.
Keine Mutationen mehr nachweisbar
Heute, exakt ein Jahr später, ist die Krankheit in Blut und Knochenmark nicht mehr nachweisbar, auch die Mutationen sind verschwunden. Das Blutbild normalisiert sich langsam aber sicher, und ich konnte schon einige Medikamente ausschleichen – darunter auch solche, die der Unterdrückung des Immunsystems dienen (der ECP sei Dank). Weiter ungelöst ist die GvHD der Augen, die so trocken sind, dass sie ständig tränen. Nervig, aber auch damit lernt man zu leben. Nach den Monaten mit Glatze schmückt jetzt ein flotter Kurzhaarschnitt meinen Kopf. Sport und längere Wanderungen sind wieder ohne Schmerzen möglich – ein echter Gewinn an Lebensqualität! Ich fange sogar schon wieder langsam an zu arbeiten (wenige Stunden pro Woche, aber immerhin); das hätte ich mir vor einem Jahr nicht träumen lassen.
Kürzlich hatte ich den ersten Virusinfekt seit der SZT, der recht heftig ausfiel, aber ebenfalls überstanden ist. Meine fleckige Haut wird mir nach Auskunft der Ärzte wohl erhalten bleiben, da es sich de facto um Narben handelt. Immerhin darf ich hoffen, dass sie mit der Zeit noch blasser werden. Wenn das der Preis für (m)ein neues Leben ist, zahle ich ihn gerne. Vor allem, wenn ich sehe, mit welchen Komplikationen andere PMFler während, beziehungsweise nach der SZT zu kämpfen haben. Ich bin sehr dankbar für das Glück, das ich bis hierher hatte und für den unterm Strich positiven Heilungsverlauf. Nichts davon ist selbstverständlich. Auch nicht die selbstlose Stammzellspende, die mir das Leben gerettet hat. Meine Spenderin und ich freuen uns schon jetzt darauf, uns im nächsten Jahr persönlich kennenzulernen. Dann endet die zweijährige Sperrfrist.
Stand: Juli 2018