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Was ist eine Polycythaemia vera (PV) und wie häufig tritt sie auf?

Die Polycythaemia vera (PV) zählt zu den sogenannten klassischen chronischen myeloproliferativen Erkrankungen (MPN) des Knochenmarks. Dazu gehören neben der PV die Essentielle Thrombozythämie (ET), die präfibrotische Primäre Myelofibrose (präPMF) und die Primäre Myelofibrose (PMF).

Benennung

Der Name Polycythaemia vera leitet sich vom griechischen „polys“ für »viele«, „kytos“ für »Zellen« und „haima“ für »Blut« ab, außerdem vom lateinischen „vera“ für »wahr«.
Die myeloproliferativen Erkrankungen wurden von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mehrfach neu klassifiziert (zuletzt im Jahr 2022) und von ehemals Myeloproliferative Disorders (MPD) in Myeloproliferative Neoplasms (MPN – Myeloproliferative Neoplasien ) umbenannt.
In der Vergangenheit gebräuchliche, inzwischen aber veraltete Bezeichnungen wie Chronische Myeloproliferative Erkrankungen (CMPE), Osteomyelofibrose (OMF) und Chronische Idiopathische Myelofibrose (CIMF) werden selten, dennoch bis heute verwendet.

Polycythaemia vera (PV). Knochenmarkhistologie: Typische Vermehrung größendifferenter Megakaryozyten und der Erythropoese.
Bildquelle T. Haferlach

Unterscheidung von anderen Formen der MPN

Die verschiedenen Formen der MPN weisen viele Gemeinsamkeiten auf und lassen sich deshalb, insbesondere im Anfangsstadium, manchmal nur schwer voneinander unterscheiden. In einzelnen Fällen sind Übergänge von einer Subentität zur anderen möglich.

Häufigkeit

Die PV gehört zu den seltenen Erkrankungen (engl. orphan disease) mit einer Inzidenz zwischen 0.4 bis 2.8 Fällen pro 100 000 Einwohner pro Jahr in Europa. Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung in Deutschland entspricht dies einer Zahl von etwa 1000-2000 Neuerkrankungen pro Jahr. Das erklärt, dass viele niedergelassene Ärzte die Erkrankung nicht kennen und selbst Fachärztinnen für Bluterkrankungen (Hämatologen) häufig nur wenige Patientinnen betreuen.

Erhöhter Hämatokrit bedingt häufig thromboembolische Ereignisse

Obwohl bei der PV in der Regel eine Vermehrung aller drei blutbildenden Zellreihen vorliegt (Vorstufen der roten Blutzellen, der weißen Blutzellen und der Blutplättchen), steht im Allgemeinen die chronische Überproduktion der roten Blutzellen (Erythrozyten) im Vordergrund. Das führt zu einem Anstieg des Hämatokritwertes, einem Gradmesser für das Verhältnis zwischen Zellen und flüssigen Bestandteilen des Blutes.

Der Normbereich liegt für gesunde Männer bei < 52 Prozent, für gesunde Frauen bei < 47 Prozent. Manche PV-Patienten weisen zum Diagnosezeitpunkt Werte von über 60 Prozent auf.

Sogenannte thromboembolische Ereignisse, wie zum Beispiel Thrombosen, Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Embolien gelten als ernste und häufigste Komplikationen. Daher ist die engmaschige Kontrolle des Hämatokrits von entscheidender Bedeutung in der Behandlung der PV.

Was sind die Ursachen der Polycythaemia vera (PV)?

Die genauen Ursachen der PV sind bisher nicht bekannt. Es gibt aktuell keine gesicherten Erkenntnisse darüber, ob beispielsweise ein bestimmter Lebenswandel, der berufsbedingte Umgang mit Chemikalien oder sonstige Umwelteinflüsse die Entstehung einer PV begünstigen können.

Man geht davon aus, dass sie im Laufe des Lebens durch erworbene Mutationen in blutbildenden (hämatopoetischen) Stammzellen hervorgerufen werden kann. Diese Genmutationen führen dazu, dass diese Stammzellen ihre normale Funktion nicht mehr erfüllen. Die häufigste Mutation ist die JAK2V617F-Genmutation.

JAK2-Genmutation

CALRETICULIN und MPL

Passenger-Mutationen

Ist eine PV vererbbar?

Nach dem jetzigen Stand der Forschung sind die MPN, also auch die PV, keine genetisch vererbten Krankheiten. Es können jedoch familiäre Dispositionen dafür auftreten. Bei familiären Häufungen von MPN über mehrere Generationen oder Erkrankungen an anderen hämatologischen Neoplasien oder weiteren Krebserkrankungen, wird gemäß Leitlinien der der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) eine humangenetische Beratung empfohlen.

Mehr Informationen zur Blutbildung – Hämatopoese

Welche Symptome können auf eine PV hinweisen?

Die Mehrzahl der Betroffenen lebt über viele Jahre oder sogar Jahrzehnte weitgehend beschwerdefrei. Zwischen dem Auftreten erster Symptome bis zur korrekten Diagnosestellung liegt häufig nochmals ein längerer Zeitraum.

Die häufigsten Beschwerden

Weitere mögliche Symptome einer PV

Wie wird die PV diagnostiziert?

Häufig wird die Diagnose als Zufallsbefund oder in Folge eines thromboembolischen Ereignisses gestellt.

  • Bei einer Routineuntersuchung oder im Rahmen der Diagnostik und Therapie anderer Erkrankungen fallen ein erhöhter Hämatokritwert oder dauerhaft erhöhte Thrombozyten auf.
  • Patienten suchen eine Ärztin auf, weil sie unter Durchblutungsstörungen (Mikrozirkulationsstörungen), massivem Juckreiz vor allem nach Wasserkontakt (aquagener Pruritus) oder einer nicht erklärbaren chronischen Erschöpfung mit andauernder Müdigkeit, einer sogenannte Fatigue, leiden. Diese erkrankungsbedingte dauerhafte Erschöpfung wird inzwischen von MPN-Experten als wichtiges Kriterium in die Diagnostik einbezogen.
  • Schwerwiegende Komplikationen wie eine Thrombose, ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall führen zur Diagnose PV.

Die Erfahrungen der Mitglieder des mpn-netzwerks zeigen, dass viele Ärzte die vielschichtige Gesamtsymptomatik zunächst nicht richtig einordnen, da Veränderungen des Blutbildes verschiedene Ursachen haben können. Mitunter werden sie sogar als Laborfehler eingestuft und ignoriert. Außerdem ist die PV – wie bereits erwähnt – noch immer relativ unbekannt. Eine Erhöhung des Hämatokrits, beziehungsweise der Blutwerte, kann häufig andere Ursachen haben. Diese werden Medizinerinnen, bevor sie eine Polycythaemia vera in Erwägung ziehen, zunächst abklären. Wichtig ist, dass von ärztlicher Seite frühzeitig an die Möglichkeit einer PV gedacht wird, vor allem dann, wenn die Werte über einen längeren Zeitraum erhöht bleiben.

Besteht der Verdacht auf das Vorliegen einer PV, sollte stets und baldmöglichst ein Hämatologe hinzugezogen werden. Dieser ist darin geschult, eine Diagnose auf Basis der aktuellen Behandlungsleitlinien der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) zu stellen.

Wichtigstes Kriterium für die Diagnosestellung ist die Höhe des Hämoglobinwerts, bzw. des Hämatokrits. Eine erhöhte Thrombozytenzahl kann ebenfalls auf eine PV hinweisen.

Die PV Diagnosekriterien im Überblick

Hauptkriterien

  • Hämoglobin >16,5 g/dl bei Männern, >16,0 g/dl bei Frauen oder Hämatokrit >49% bei Männern, >48% bei Frauen
  • Trilineäre Myeloproliferation mit pleomorpher Megakaryopoese im Knochenmark – das bedeutet eine Steigerung aller drei Zellreihen (weiße und rote Zellen und Blutplättchen) mit vielgestaltigen Vorläuferzellen der Blutplättchen, sogenannten Megakaryozyten
  • Nachweis der JAKV617F-Mutation oder einer anderen funktionell ähnlichen Mutation (z.B. im Exon 12 des JAK2-Gens)

Nebenkriterien

Die Diagnose PV gilt als gesichert, wenn entweder alle drei Hauptkriterien oder die ersten beiden Hauptkriterien und das Nebenkriterium erfüllt sind.

Welche Untersuchungen werden bei der Diagnose durchgeführt?

Blutuntersuchung

Molekulargenetische Untersuchungen

Ultraschall des Bauchraums

Welche Prognose hat die PV?

Prognoseangaben, insbesondere aus dem Internet, sind vielfach veraltet und daher irreführend.
Generell ist die Überlebensprognose einer gut kontrollierten PV günstig. Eine geeignete Therapie reduziert deutlich das größte Risiko, ein thromboembolisches Ereignis.

In den deutschen Leitlinien wird für die Einschätzung der individuellen Prognose weiterhin das Risiko für ein thromboembolisches Ereignis verwendet. Dieses Risiko erhöht sich durch ein biologisches Alter über 60 Jahren oder schon aufgetretene Thromboembolien. In neueren Prognosescores werden zusätzliche Passenger-Mutationen in die Prognostik einbezogen (z.B. MIPSS-PV). Allerdings werden diese neuen Prognosescores noch nicht flächendeckend angewendet und haben daher keine Auswirkungen auf die Indikationen für zytoreduktive Therapien.

Die Erfahrungen der Mitglieder des mpn-netzwerks zeigen, dass schlecht informierte Ärzte manchmal schockierende Angaben zur Lebenserwartung machen, die die Patientinnen stark verunsichern und unnötig Ängste schüren. Durch aufmerksames Beobachten und bei Bedarf einzuleitender Behandlung der Erkrankung kann die Lebenserwartung von PV-Patienten deutlich gesteigert werden.

Wie ist der Verlauf der PV?

Der natürliche Verlauf der PV ist in verschiedene Krankheitsstadien gegliedert:

Chronische (polyzythämische) Phase

Diese Phase dauert zumeist Jahre oder Jahrzehnte und ist gekennzeichnet durch gesteigerte Zellbildung im Knochenmark, hohe Zellzahlen im peripheren Blut und einem gegenüber Gesunden erhöhten Risiko für Thrombosen. Diese stellen bei unbehandelter PV die häufigste Todesursache dar. Selten kommt es zu lebensbedrohlichen Blutungen.

Eine Auslagerung der Blutbildung aus dem Knochenmark in andere Organe findet zu diesem frühen Zeitpunkt der Erkrankung in der Regel noch nicht oder nur begrenzt statt. Da jedoch die Milz an der Verarbeitung der übermäßig hohen Zellzahlen beteiligt ist, kann diese schon im frühen Stadium vergrößert sein und allmählich weiter wachsen.

Weiterer Krankheitsverlauf

Im weiteren Krankheitsverlauf kann es im Knochenmark neben einer Überproduktion von Blutzellen zu einer vermehrten Neubildung von Bindegewebe (Fibrose) kommen. Diese Faservermehrung wird wahrscheinlich von Entzündungsbotenstoffen (Zytokinen) begünstigt. Sie lässt sich als „Narbenbildung“ oder „Verödung“ des Knochenmarks beschreiben und kann zum allmählichen Versagen der Zellbildung im Knochenmark führen. Durch die zunehmende Verfaserung wird die Blutbildung teilweise in Milz und Leber verlagert und es kann zu einer Vergrößerung dieser Organe, insbesondere der Milz kommen.

Gemäß der Hannover-Klassifikation wird die Fibrose in verschiedene Grade eingeteilt:

Spätphase

In der Spätphase, oft nach Jahren oder Jahrzehnten, kommt es zum Rückgang der gesteigerten Zellbildung. Eine Transformation in eine (sekundäre) Post-PV-Myelofibrose und – selten – direkt von der PV in eine akute Leukämie kann folgen.

Im Zuge der fortschreitenden Fibrose kommt es zu einer Abnahme der Erythrozyten (Rückgang der Erythrozytose) und einer Zunahme der Milzgröße (Splenomegalie). So kann sich mit der Zeit eine Blutarmut (Anämie) einstellen. Die Leukozytenzahl kann zu diesem Zeitpunkt sowohl erhöht als auch erniedrigt sein. Später können sie ebenfalls abfallen. Die bei Gesunden etwa 4 × 7 × 11 Zentimeter große Milz kann im Verlauf der Erkrankung auf weit über 25 Zentimeter anschwellen und große Teile des Bauchraumes anfüllen, mit der Folge, dass andere Organe verdrängt und in ihrer Funktion beeinträchtigt werden.

Für die Patientin wird der Alltag in diesem fortgeschrittenen Stadium der PV häufig von einem deutlichen Krankheitsgefühl bestimmt, da sich eine Anämie meist durch Abgeschlagenheit, abnehmende Leistungsfähigkeit, Müdigkeit und Erschöpfung bemerkbar macht. Der Hämoglobingehalt nimmt mit Rückgang der Erythrozyten ebenfalls ab und kann im fortgeschrittenen Stadium Werte erreichen, die regelmäßige Bluttransfusionen notwendig machen. In der Regel spricht man dann aber nicht mehr von einer PV, sondern von einer sogenannten Post-PV-Myelofibrose. Diese kann weiter in eine akute myeloische Leukämie (AML) transformieren. Der direkte Übergang von einer PV zu einer AML ist möglich, aber selten.

Es ist wichtig, den individuellen Krankheitsverlauf kontinuierlich ärztlich begleiten zu lassen – am besten von einer auf die Behandlung von MPN spezialisierten Hämatologin. Diese ist in der Lage, Veränderungen im Blutbild rasch zu erkennen, die Vor- und Nachteile einer medikamentösen Behandlung sorgfältig abzuwägen und gemeinsam mit dem Patienten die optimale Therapie zu finden.

Welche Komplikationen können bei einer PV auftreten?

Bei einer PV müssen nicht zwangsläufig schwerwiegende Komplikationen auftreten. Allerdings ist die statistische Wahrscheinlichkeit höher als bei Nichterkrankten.

Ernste und häufigste Komplikationen äußern sich in erster Linie als sogenannte thromboembolische Ereignisse, wie Thrombosen, Schlaganfälle, Herzinfarkte oder Embolien. Verständlicherweise steigt das Risiko solcher Komplikationen mit der “Zähflüssigkeit” des Blutes.
Paradoxerweise kann bei einer sehr hohen Thrombozytenzahl (1-1,5 Mio.) die Blutungsneigung erhöht sein.

Was sind thromboembolische Ereignisse und wie äußern sie sich?

Wichtig zu wissen:
Sie können das persönliche Risiko für etwaige Komplikationen senken durch:

  • eine aufmerksame Selbstwahrnehmung und zwingend erforderliche regelmäßige ärztliche Kontrollen
  • das Beachten der allgemeinen Empfehlungen zur Begrenzung des Herzinfarkt- und Schlaganfallrisikos:
    • nicht rauchen
    • effektive Behandlung von Herz- Kreislauferkrankungen, Diabetes, hohem Cholesterinspiegel, etc.
    • ausgewogene Ernährung
    • Reduzierung des Übergewichts
    • regelmäßige Bewegung, z.B. Ausdauersport, Venengymnastik
  • ausreichende Flüssigkeitszufuhr, sofern nicht andere Krankheiten dagegen sprechen
  • Besondere Maßnahmen bei längeren Autofahrten und Langstreckenflügen:
    • genügend trinken
    • sich immer wieder bewegen
    • evtl. Kompressionsstrümpfe tragen
    • ggf. Heparin spritzen (sprechen Sie Ihren Arzt hierauf an, ob und ab welcher Länge des Fluges und in welcher Dosis dies für Sie empfohlen wird)

Die Behandlung der PV

Wann sollte mit einer Behandlung begonnen werden?

Ausprägung und Verlauf der PV sind individuell sehr unterschiedlich, daher gibt es keine einheitliche Therapievorgaben für alle PV-Betroffenen.

Der richtige Zeitpunkt für den Behandlungsbeginn stellt häufig einen Kompromiss dar zwischen der Notwendigkeit, krankheitsbedingte Beschwerden zu lindern und Komplikationen vorzubeugen auf der einen Seite und dem Risiko medikamentöser Nebenwirkungen auf der anderen.
Es ist notwendig, die Erkrankungssituation der einzelnen Patientin und ihre sonstigen Begleiterkrankungen zu berücksichtigen. Verträglichkeit und Wirksamkeit der verschiedenen Medikamente sind ebenfalls individuell verschieden. Häufig ermöglicht erst ein Behandlungsversuch ein Urteil. Im Idealfall beraten sich Ärztin und Patient und finden gemeinsam die optimale Therapie heraus. Diese kann im langjährigen Verlauf durchaus wechseln.

Es gibt aber Faktoren, die in die Risikoabschätzung einfließen, hier eine Auswahl:

Was sind die Ziele der PV-Therapie?

Es geht darum,

  • bereits bestehende Symptome zu lindern und damit die Lebensqualität zu steigern
  • das Thrombose- und Embolierisiko zu senken
  • Blutungen zu verhindern
  • Komplikationen wie den Übergang in eine Post-PV-MF oder Akute Myeloische Leukämie zu vermeiden

Wichtig zu wissen:

Gravierende Zwischenfälle, wie eine Thrombose, ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall, erfordern einen sofortigen Einstieg in eine Behandlung, um die Zellzahlen, insbesondere den Hämatokrit, umgehend und nachhaltig zu reduzieren. Nur so kann die akute Gefahr abgewendet und das Risiko weiterer Komplikationen minimiert werden.

Wie wird die PV behandelt?

Wichtig zu wissen:

Eine einheitliche Therapieempfehlung für alle PV-Patienten gibt es nicht!

Watch & Wait-Strategie meist verbunden mit einer Aderlasstherapie

Eine Watch & Wait-Strategie (beobachten und abwarten), verbunden mit der Aderlasstherapie und der Gabe von ASS (siehe Kapitel unten), ist die älteste, wirkungsvollste und nebenwirkungsärmste Behandlungsmöglichkeit der PV. In vielen Fällen (bei Patienten mit Niedrigrisikokonstellation) zunächst auch die Therapie der Wahl.

Zu Beginn der Erkrankung ist es unbedingt notwendig, den erhöhten Hämatokrit durch wiederholte Aderlässe abzusenken, um das Risiko von thromboembolischen Komplikationen rasch zu reduzieren. Danach reicht es in vielen Fällen aus, die Hämatokritwerte durch gelegentliche Aderlässe < 45% zu halten. Zusätzlich wird die prophylaktische Einnahme von Acetylsalicylsäure (ASS) in niedriger Dosierung empfohlen (50-100 mg/ Tag), da die vorbeugende Wirkung gegen Thrombosen bei PV-Patientinnen in einer Studie (ECLAP-Studie) eindeutig belegt wurde. Nur in begründeten Ausnahmefällen wird in der Behandlung der PV auf ASS verzichtet. Beim Auftreten von Durchblutungsstörungen in den kleinen Gefäßen (Mikrozirkulationsstörungen) wird zunächst beobachtet, ob die Symptome unter der Einnahme von ASS zurückgehen. Liegt eine gesteigerte Blutungsneigung vor, sollte initial auf ASS verzichtet werden, denn ASS verstärkt die Blutungsneigung. Je nach individueller Konstellation (z.B. aufgrund von Nebenerkrankungen, die eine ASS-Therapie aber erforderlich machen, kann dies auch dazu führen, dass man die Einleitung einer medikamentösen Therapie empfehlen wird.

Im Vergleich zum Hämatokrit gilt die Thrombozytenzahl bei der PV zwar als nachrangiger Risikofaktor, müssen aber dennoch beobachtet werden. Da Thrombozyten über eine Million das Blutungsrisiko erhöhen können, stellen sie ein zusätzliches Kriterium für den Einstieg in eine medikamentöse Therapie dar.

Was ist ein Aderlass und wie wird er durchgeführt?

Was bewirkt der Aderlass?

Wie häufig soll ein Aderlass durchgeführt werden?

Thrombozytenzahl kann unter der Aderlasstherapie steigen

Wie kann ich den Aderlass erleichtern?

Welche Bedeutung hat Eisenmangel infolge der Aderlasstherapie?

Alternative zum Aderlass: Erythrozytapherese

Wann reicht die Aderlasstherapie nicht mehr aus?

Thrombozytenaggregationshemmer wie ASS, Clopidogrel u.ä.

Thrombozytenaggregationshemmer (TAH) hindern die Blutplättchen daran, miteinander zu verklumpen und setzen so die Wahrscheinlichkeit einer Thrombusbildung herab.

Acetylsalicylsäure (ASS) und alternative TAH

Zellreduzierende Medikamente

Eine medikamentöse Therapie zur Reduzierung der Zellzahlen (zytoreduktive Therapie) ist immer dann angezeigt, wenn Betroffene älter als 60 Jahre sind oder es in der Vergangenheit – entweder vor der Diagnose, aber auch trotz Aderlass und ASS – bereits zu thromboembolischen Ereignissen gekommen ist.

Es gibt verschiedene Wirkstoffe, die sowohl mit Aderlässen als auch untereinander kombinierbar sind. Ziele der Behandlung sind, die Blutwerte in den Ziel bzw. Normbereich zu bringen, insbesondere Hämatokrit und Thrombozyten, und die Nebenwirkungen möglichst gering zu halten.
Unter Umständen ist es sinnvoller, zellreduzierende Medikamente niedrig zu dosieren und gelegentlich einen Aderlass vorzunehmen, statt auf Aderlässe um den Preis sehr hoher Dosierungen zu verzichten. Hier hat der Arzt die Aufgabe, Risiken und Nebenwirkungen gegeneinander abzuwägen und dies mit der Patientin zu besprechen.

Da die Blutwerte nach dem Absetzen der zellreduzierenden Medikamente wieder ansteigen, wenn auch unterschiedlich schnell, ist – außer in Einzelfällen nach Interferonbehandlung – in der Regel eine dauerhafte Erhaltungstherapie erforderlich. Die Dosierungen der einzelnen Wirkstoffe sind individuell verschieden und können sich im Verlauf der Erkrankung ändern. Deshalb sind selbst bei einer gut eingestellten medikamentösen Behandlung regelmäßige Blutwertkontrollen nötig.

HUHydroxyurea (Handelsnamen: Litalir, Syrea, Hydrea)

IFN – Interferon-alpha (Handelsnamen: Pegasys, Besremi)

AGAnagrelid (Handelsnamen: Xagrid, Thromboreductin, Agrelin)

Mutationsorientierte Therapien

Die Entdeckung der JAK2-Mutation hat nicht nur das Verständnis für die MPN verbessert, sondern stellt die Basis für neue Therapieoptionen dar, die auf den speziellen Defekt (Mutation) ausgerichtet sind. Die sogenannten JAK-Inhibitoren Ruxolitinib und Fedratinib, zugelassen für PMF, und Ruxolitinib auch als Zweitlinientherapie für PV, bieten neben den altbewährten Wirkstoffen erstmals eine zielgerichtete medikamentöse Therapieoption. Seit 2012 ist Ruxolitinib in Deutschland zugelassen. Inzwischen steht mit Fedratinib ein weiterer JAK-Inhibitor zur Verfügung, der das Behandlungsspektrum erweitert, allerdings bisher für PV nicht zugelassen ist.

Ruxolitinib (Handelsname: Jakavi)

Behandlungsmöglichkeiten bei Juckreiz

Juckreiz (Pruritus) ist für viele PV-Betroffene ein quälendes Symptom, das die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen kann. Die Ursachen sind unklar, werden aber ebenfalls untersucht. Bei Patienten, bei denen sich der Juckreiz unter Aderlasstherapie nicht signifikant bessert, sollte eine Behandlung mit zellreduzierenden Medikamenten wie Ruxolitinib, Interferon oder HU erwogen werden.

Patientinnen, die gegen den Juckreiz Antihistaminika eingenommen haben, berichten, dass der gewünschte Erfolg häufig ausblieb. Eine histaminarme Ernährung kann jedoch Linderung bringen.

Tipps zur Bekämpfung des Juckreizes aus unserem Mitgliederforum

Regelmäßige Kontrollen sind wichtig

Die Behandlungsleitlinien der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) empfehlen folgende Untersuchungen, um den Verlauf der PV dauerhaft zu kontrollieren:

  • Blutuntersuchung, bei der die Abstände je nach Schwere der Erkrankung und Therapie zwischen wenigen Tagen (z. B. bei Therapieeinstieg) und mehreren Monaten (bei stabilem Verlauf) variieren
  • eine halbjährliche umfassendere Untersuchung mit ausführlichem Arztgespräch, um den Krankheitsverlauf, mögliche Komplikationen und Therapienebenwirkungen zu überwachen
  • etwa jährlicher Ultraschall, u. a. wegen möglicher Milzvergrößerung.

Fazit

Keine kurative Behandlung

Trotz neuer, hoffnungsvoller Ansätze in der Medikamentenforschung gehört die PV zu den Erkrankungen, für die es – abgesehen von der Blutstammzell-Transplantation – derzeit keine kurative (heilende) Behandlung gibt.

Vielmehr muss man von einer medizinischen Begleitung der Krankheit sprechen, bei der die Aufgabe der Ärztin primär darin besteht, die Symptomatik zu behandeln und den Verlauf im Auge zu behalten. Einzelne Therapieansätze werden aber aktuell darauf untersucht, ob sie ggf. den Verlauf der Erkrankung beeinflussen können.

Der Erhalt beziehungsweise die Wiederherstellung der Lebensqualität sollte in der Zusammenarbeit von Arzt und Patientin im Vordergrund stehen.

»Primum non nocere« – »zuallererst: Füge keinen Schaden zu.«

MPN-Register

Zusätzlich zur Erforschung neuer Medikamente ist es für die Steigerung des Erkenntnisgewinns zum Krankheitsbild PV unverzichtbar, die Erfahrungen mit bisherigen Behandlungsstrategien systematisch zu erfassen und auszuwerten. Vor diesem Hintergrund begrüßt das mpn-netzwerk ausdrücklich die Einführung des MPN-Registers und empfiehlt allen Betroffenen, durch ihre Teilnahme aktiv zur Vermehrung des Wissens über MPN- Erkrankungen und deren Behandlung beizutragen.

Das MPN-Register

Austausch mit anderen Betroffenen

Der Austausch mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen oder -organisationen kann helfen, das Hier und Jetzt nicht zu vergessen. Das mpn-netzwerk lädt Sie daher abschließend herzlich ein, sich am Austausch im Forum sowie auf den Regional- und den Jahrestreffen des Vereins zu beteiligen.

Wir danken Dr. Susanne Isfort, Aachen, für ihre fachliche Beratung und das Gegenlesen dieses Textes.

Quellen:

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