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Die MPN sind Erkrankungen des Blutes, genauer des Knochenmarks, und hier speziell der Blutstammzellen. Aus den im Knochenmark befindlichen insgesamt zwischen 50 000 bis zu 200 000 aktiven Blutstammzellen können sich alle Blutbestandteile bilden.

Zu den Blutstammzellen, sozusagen den Mutterzellen, zählen neben den myeloischen Zellen (u.a. Blutplättchen=Thrombozyten, rote Blutkörperchen=Erythrozyten, weiße Blutkörperchen=Leukozyten) auch die lymphatischen Zellen (Killerzellen, Lymphozyten, Plasmazellen), die wesentlich für die Immunabwehr sind. Die Bildung der unterschiedlichen Blutbestandteile geht dabei über mehrere Stufen bzw. Vorläuferzellen (Abbildung).

Dabei werden wichtige Bestandteile des Erbgutes der Blutstammzelle an die nachfolgenden Generationen von Zellen weitergegeben.

Abbildung:  Vereinfachter Weg von der Stammzelle zu den funktionalen Zellen des Bluts
Abbildung: Vereinfachter Weg von der Stammzelle zu den funktionalen Zellen des Bluts (grau: Zellkern mit Erbinformation)


Fehlsteuerung durch Mutationen

Sind nun Mutationen, wie eine MPN-Treibermutation, in den Blutstammzellen vorhanden, werden auch diese an die sich aus ihnen entwickelnden Vorläuferzellen weitergegeben. Eine MPN Mutation wie JAK2, CALR oder MPL führt in diesen Zellen dazu, dass die Produktion neuer Blutzellen dauerhaft aktiviert wird, im Gegensatz zur normalen Steuerung durch eine bedarfsabhängige Dosierung der Botenstoffe im Körper. Botenstoffe sind z. B. das Erythropoetin zur Bildung von Erythrozyten oder das Thrombopoetin zur Bildung von Thrombozyten. Da die körpereigene Regulierung durch die Mutation umgangen wird, werden als Folge unkontrolliert zu viele Blutzellen produziert. Je nach Erkrankung können das die Thrombozyten, Erythrozyten oder Leukozyten bzw. Kombinationen davon sein.

Verstärkte Bildung von Fasern

Zusätzlich kommt es häufig auch zu einer verstärkten Bildung von Fasern, d.h. einer zunehmenden Verfaserung des Knochenmarkraumes (Myelofibrose). Mit dieser Myelofibrose geht eine Störung der Zellbildung im Knochenmark einher, die dazu führt, dass die Blutbildung im Verlauf der Erkrankung zunehmend in andere Organe wie Milz und Leber verlagert wird, bevor sie schließlich im Knochenmark ganz zum Erliegen kommt. Diesen Vorgang der Verlagerung der Blutbildung in andere Organe nennt man extramedulläre Blutbildung, das heißt Blutbildung „außerhalb des Knochenmarks“. Da die bei MPN mutierten Blutstammzellen einen „Überlebensvorteil“ gegenüber nichtmutierten Zellen haben, nimmt der Anteil mutierter Zellen in der Regel langsam, aber stetig zu. Im Laufe der Erkrankung können weitere (Passagier-) Mutationen, zusätzlich zu JAK2, CALR und MPL erworben werden und ein schnelleres Voranschreiten der Erkrankung begünstigen.

Sind MPN-Erkrankungen Leukämie?

Die MPN-Erkrankungen sind keine Leukämie im engeren Sinn, aber aufgrund der unkontrollierten Zellbildung den Leukämien verwandte Erkrankungen. Eine Besonderheit der MPN ist, dass sowohl gesunde als auch krankhaft veränderte Stammzellen mit ihren jeweiligen Nachkommen lange Zeit nebeneinander existieren können. Dabei kann der Anteil an mutierten Zellen bei den einzelnen Betroffenen, bei den verschiedenen Entitäten und ebenso in den verschiedenen Stadien der jeweiligen Entität sehr unterschiedlich sein. Alle MPN-Erkrankungen bergen ein je nach Krankheitsform unterschiedliches Risiko (überwiegend nach Jahren bis Jahrzehnten), in eine Myelofibrose oder – selten – in eine akute myeloische Leukämie (AML) überzugehen.

Welche Funktion haben die Erythrozyten?

Eine chronische Überproduktion der Erythrozyten (rote Blutkörperchen), wie sie z.B. bei der Polycytaemia vera (PV) im Vordergrund steht, hat zur Folge, dass der Hämatokritwert steigt, der den prozentualen Anteil von festen Bestandteilen im Blut anzeigt. Der Hämatokrit gilt als Gradmesser für die „Zähflüssigkeit“ (Viskosität) des Blutes. Für gesunde Männer liegt der Normbereich bei 40 bis 52 Prozent, für gesunde Frauen bei 37 bis 47 Prozent. PV-Patienten zeigen zum Zeitpunkt der Diagnose nicht selten Werte von über 60 Prozent. Bei Ihnen wird ein Wert unter 45 Prozent angestrebt, um thromboembolische Ereignisse zu vermeiden.

Bei Männern gelten Erythrozytenwerte von 4,4 bis 5,9 Mio./µl als Normalwerte, bei Frauen 3,8 bis 5,2 Mio./µl. Liegt eine hohe Anzahl von Erythrozyten vor, nimmt auch der Anteil von festen Bestandteilen des Blutes zu (Verschlechterung des Verhältnisses von festen und flüssigen Blutbestandteilen), gekennzeichnet durch einen Anstieg des Hämatokrit. Je höher der Anteil an Zellen im Blut ist, desto schlechter werden die Fließeigenschaften. Damit erhöht sich die Gefahr von Durchblutungsstörungen sowie Gefäßverschlüssen, wie Thrombosen und Embolien.

Hauptbestandteil der Erythrozyten ist das Hämoglobin (Hb), der sogenannte rote Blutfarbstoff. Er bindet den eingeatmeten Luftsauerstoff und transportiert ihn über die Blutbahn zu den Organen. Fällt der Hb-Gehalt des Blutes auf Werte unterhalb des Normbereichs, sprechen Mediziner von einer Anämie (Blutarmut), bei einer Erhöhung auf Werte oberhalb des Normbereichs von Polyglobulie oder Erythrozytose. Da sich bei einer PV in der Regel eine Erythrozytose und ein zu hoher Hämatokritwert nachweisen lassen, sieht die Behandlungsempfehlung als erste Maßnahme einen sogenannten Aderlass vor.

Welche Funktion haben die Thrombozyten?

Thrombozyten (Blutplättchen) sind jene Zellen im Blut, die einen wichtigen Bestandteil des Blutgerinnungssystems darstellen. Sie sorgen schon bei kleinsten Verletzungen dafür, dass die Gefäßwände des geschädigten Gewebes durch eine Art Pfropf abgedichtet werden und so die Blutung gestillt wird.

Vor allem bei einer Essentiellen Thrombozythämie (ET) ist die erhöhte Anzahl der Thrombozyten das grundlegende Merkmal. Auch bei der PV, der präPMF und bei der PMF, allerdings seltener bei einer fortgeschrittenen PMF, werden erhöhte Thrombozytenwerte im Blut festgestellt. Mit anormal erhöhten Thrombozyten im Blut steigt in der Regel auch deren Neigung „zu verklumpen“, wodurch sich Blutgerinnsel bilden können. Dies wiederum erhöht das Risiko für Durchblutungsstörungen, bis hin zum Gefäßverschluss. Paradoxerweise kann sich durch eine sehr hohe Thrombozytenzahl die Blutungsneigung erhöhen. Die Blutgerinnungsfaktoren sind aufgrund der hohen Blutplättchenzahl nicht mehr in ausreichender Menge bzw. Qualität in diesen vorhanden, weshalb die Funktion der Blutgerinnung stark eingeschränkt ist. Dieser Effekt tritt jedoch meist erst bei Thrombozytenzahlen von mehr als 1 bis 1,5 Millionen/µl auf. Anzeichen für eine erhöhte Blutungsneigung können häufiges und/oder starkes Nasen- oder Zahnfleischbluten sein.

Welche Funktion haben die Leukozyten?

Die Leukozyten (weiße Blutkörperchen) sind die Bestandteile des Bluts, die für die Immunabwehr zuständig sind. Bei ansonsten gesunden Menschen geben erhöhte Werte einen Hinweis auf eine Infektionskrankheit, vorwiegend verursacht durch Bakterien.

Bei den MPN-Erkrankungen sind hohe Thrombozytenwerte auf eine unkontrollierte Vermehrung der Blutzellen im Knochenmark zurückzuführen.
Die Werte können sowohl bei der PV und bei der präPMF, seltener bei der ET, erhöht sein. Bei der PMF kommen sowohl hohe Werte als auch erniedrigte Werte vor.