Startseite » MPN verstehen » Essentielle Thrombozythämie (ET) verstehen

Was ist eine Essentielle Thrombozythämie (ET) und wie häufig tritt sie auf?

Die Essentielle Thrombozythämie (ET) gehört zu den seltenen, chronischen Myeloproliferativen Neoplasien (MPN), Erkrankungen des Knochenmarks. Diese MPN weisen viele Gemeinsamkeiten auf und lassen sich insbesondere im Anfangsstadium manchmal nur schwer voneinander unterscheiden.

Bei ET kommt es ohne erkennbare Ursache zu einer Überproduktion von Blutplättchen (Thrombozyten). Dadurch wird im Blut dauerhaft die Anzahl der Thrombozyten erhöht.

Essenzielle Thrombozythämie (ET). Knochenmarkhistologie: Vermehrung mäßig polymorpher Megakaryozyten, die z. T. in Gruppen zusammenliegen (Giemsa-Färbung). Bildquelle T. Haferlach

Thrombozyten sind für die Blutstillung zuständig. Bei Gefäßverletzungen verklumpen sie miteinander und dichten so das Blutgefäß ab. Darüber hinaus setzen sie Botenstoffe frei, die ebenfalls zur Reparatur des Gefäßschadens beitragen.

Eine zu große Anzahl von Thrombozyten im Blut erhöht die Gefahr von Thrombosen (Blutgerinnseln), dadurch steigt das Risiko für Durchblutungsstörungen, die bis zum Gefäßverschluss führen können. Wenn die Anzahl der Thrombozyten zu hoch ist, steigt das Blutungsrisiko, da die Thrombozyten sich dann gegenseitig behindern können.

Zählt eine ET zu den Krebserkrankungen?

Die ET gehört gemäß der aktuellen WHO-Klassifikation zu den sogenannten BCR-ABL1-negativen Myeloproliferativen Neoplasien (MPN), einer Gruppe von selbstständig wachsenden, also bösartigen, Erkrankungen. Manchmal werden die MPN auch „chronischer Blutkrebs“ genannt, was jedoch keine sehr gute Bezeichnung ist. Die ET ist keine Leukämie, aber aufgrund der unkontrollierten Zellbildung eine den Leukämien verwandte Erkrankung. Wie bei allen MPN können auch bei einer ET gesunde und krankhaft veränderte Stammzellen mit ihren jeweiligen Nachkommen lange Zeit nebeneinander existieren, wobei der Anteil an mutierten Zellen bei den einzelnen Betroffenen und in den verschiedenen Stadien der Erkrankung sehr unterschiedlich sein kann. Die ET kann sehr unterschiedlich verlaufen und hängt stark von individuellen Risikofaktoren ab.

Die ET birgt ein gewisses Risiko (überwiegend nach Jahren oder Jahrzehnten), in eine post-ET-Myelofibrose oder in eine Akute Myeloische Leukämie (AML), auch Blastenphase genannt, überzugehen.

Unterscheidung von anderen Formen der MPN

Weil die MPN viele Gemeinsamkeiten aufweisen, lassen sie sich – vor allem im Anfangsstadium – häufig nur schwer voneinander unterscheiden, das gilt insbesondere für die Unterscheidung zwischen der ET und der präfibrotischen Primären Myelofibrose (präPMF), und oft zeigt sich erst im Verlauf, welcher MPN-Subtyp vorliegt. Übergänge einer wahren ET in eine sekundäre Myelofibrose (post-ET-MF) oder in eine Akute Myeloische Leukämie (AML) sind selten. Vereinzelt kommt es bei JAK2-V617F-positiven Patienten zu einem Übergang in die Polycythaemia vera (PV).

Häufigkeit

Pro Jahr erkranken in Europa ca. 0,38-1,7 von 100.000 Personen neu an ET. Insgesamt erkrankt sind ca. 4-24 pro 100.000 Einwohner. Damit gehört die ET zu den sogenannten seltenen Erkrankungen (engl. orphan diseases). Das erklärt, warum viele niedergelassene Behandelnde die Erkrankung und ihren Verlauf nicht kennen und warum selbst in fachärztlichen (hämatologischen) Praxen häufig nur sehr wenige Betroffene betreut werden.

Da die ET im Allgemeinen im höheren Lebensalter auftritt, ist die Mehrheit der Erkrankten bei Diagnosestellung älter als 50 Jahre, Frauen erkranken etwa doppelt so häufig als Männer.

Ca. 20 % der Betroffenen sind jedoch bei Diagnose unter 40 Jahren. Nach einer Studie der Mayo-Clinic haben sie häufig höhere Thrombozytenwerte, eine größere Milz, häufiger eine Calreticulin-Mutation und seltener arterielle Komplikationen. Die Diagnose wird zunehmend in einem früheren Lebensalter gestellt, da sich die Erkennung der ET, insbesondere durch die aktuellen spezifischen genetischen Bluttests, verbessert hat.

Was sind die Ursachen der ET?

Die genauen Ursachen der ET sind bisher nicht bekannt. Es gibt aktuell keine gesicherten Erkenntnisse darüber, ob beispielsweise ein bestimmter Lebenswandel, der berufsbedingte Umgang mit Chemikalien, z. B. Haarfärbemittel, oder sonstige Umwelteinflüsse die Entstehung einer ET begünstigen können.

Man geht davon aus, dass sie im Laufe des Lebens durch zufällig erworbene Mutationen in blutbildenden (hämatopoetischen) Stammzellen hervorgerufen werden kann. Neueste Untersuchungen deuten sogar darauf hin, dass die Mutationen bereits im Embryonalstadium oder Säuglingsalter auftreten können und dass es viele Jahre dauert, bis die Erkrankung klinisch sichtbar wird. Diese Mutationen führen dazu, dass betroffene Stammzellen ihre normale Funktion nicht mehr erfüllen können (häufigste Mutationen bei der ET sind die JAK2V617F- und die Calreticulin-Genmutation).

JAK2-Genmutation

CALRETICULIN

MPL

Treibermutationen

Triple negative

Erforschung weiterer Mutationen

Mehr Informationen zur Blutbildung – Hämatopoese

Ist ET vererbbar?

Nach dem jetzigen Stand der Forschung sind die MPN, also auch die ET, in der Regel nicht genetisch vererbt. Es können jedoch familiäre Dispositionen dafür auftreten, und es sind weltweit auch einige wenige Familien mit MPN bekannt. Bei familiären Häufungen von MPN über mehrere (mindestens drei) Generationen oder Erkrankungen an anderen hämatologischen Neoplasien oder weiteren Krebserkrankungen wird gemäß Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) eine humangenetische Beratung empfohlen.

Welche Symptome können auf eine ET hindeuten?

Die Mehrzahl der ET-Betroffenen lebt über lange Zeit weitgehend beschwerdefrei. Zwischen dem Auftreten erster Symptome bis zur korrekten Diagnosestellung liegt häufig nochmals ein längerer Zeitraum.

Wenn Symptome auftreten, sind dies Beschwerden, die oft erst im Rückblick mit einer ET in Verbindung gebracht werden.
Bei längerer Erkrankungsdauer kann die Milz vergrößert sein.

Häufige Symptome sind sogenannte Mikrozirkulationsstörungen wie Durchblutungsstörungen in kleinen Gefäßen (mikros=klein) an Händen und/oder Füßen oder im Gehirn (Schwindel, Kopfschmerzen, Sehstörungen/Flimmersehen und Sprachstörungen). Die meisten dieser Beschwerden können sich auch unabhängig von der Erkrankung zeigen und werden häufig erst im Rückblick mit der ET in Verbindung gebracht. Daher führen oft erst schwerwiegende Komplikationen wie venöse oder arterielle Thrombosen zur Diagnose der ET.

Was sind thromboembolische Ereignisse und wie äußern sie sich?

Mögliche Symptome bei einer ET:

Diagnose – Wie wird die ET nachgewiesen?

Die ET wird häufig als Zufallsbefund durch die im Rahmen einer Blutentnahme nachgewiesenen hohen Thrombozytenzahlen diagnostiziert. Diese können aber auch andere Ursachen haben.

Folgende Szenarien können zur Diagnose einer ET führen:

Wichtig ist, dass von ärztlicher Seite frühzeitig an die Möglichkeit einer ET gedacht wird, vor allem dann, wenn die Werte über einen längeren Zeitraum erhöht bleiben. Bei dauerhaft erhöhten Thrombozyten über 450.000 / µl Blut, ohne dass sich eine eindeutige Ursache dafür finden lässt, sollte man baldmöglichst fachärztlichen Rat einholen, um sicher zu gehen, dass eine Diagnose auf Basis der aktuellen Behandlungsleitlinien der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) gestellt wird.

Die ET-Diagnosekriterien im Überblick (nach WHO 2022)

Hauptkriterien

  • Dauerhafte Thrombozytenzahl von > 450 000 / µl im peripheren Blut
  • Knochenmarkhistologie:
    • Vermehrung der Megakaryozytenlinie mit erhöhter Zahl vergrößerter, reifer und hyperlobulierter (hirschgeweihartiger) Megakaryozyten
    • keine Erhöhung oder Linksverschiebung der Granulopoese oder Erythropoese
    • keine oder nur geringe Zunahme (Grad 0-1) der Retikulinfasern
  • WHO-Kriterien für eine BCR-ABL1-positive Chronische Myeloische Leukämie (CML), eine PV, PMF oder andere MPN sind nicht erfüllt
  • Nachweis einer JAK2-, CALR- oder MPL-Mutation

Nebenkriterien

  • Vorkommen eines anderen klonalen Markers oder fehlende Hinweise auf eine reaktive Thrombozytose

Die Diagnose ET gilt als gesichert, wenn entweder alle vier Hauptkriterien oder die ersten drei Hauptkriterien und das Nebenkriterium erfüllt sind.

Welche Untersuchungen werden bei der Diagnose durchgeführt?

Blutuntersuchung

Ultraschall des Bauchraums (Abdominelle Sonografie)

Molekulargenetische Untersuchung

Welche Prognose hat die ET?

Prognoseangaben, insbesondere aus dem Internet, sind vielfach veraltet und daher irreführend, und sollten mit Vorsicht betrachtet werden. Hinweise zum Umgang mit Prognoseangaben bieten die Info-Blätter der Deutschen Leukämie und Lymphom-Hilfe (DLH).

Die Lebenserwartung von ET-Betroffenen ist günstig, wenn die Erkrankung präzise diagnostiziert wurde und eine fachgerechte Behandlung erfolgt. Hauptrisiko stellen thromboembolische Ereignisse dar. Dieses Risiko lässt sich jedoch mit einer geeigneten Therapie deutlich reduzieren. Die Behandlung der ET richtet sich danach, wie groß das individuelle Risiko einer thromboembolischen Komplikation ist.

Was sind thromboembolische Ereignisse und wie äußern sie sich?

Um das Risiko für ein thromboembolisches Ereignis abzuschätzen, wurden unterschiedliche Risikogruppen definiert. Noch findet meist der konventionelle Risikoscore Anwendung.

Risikogruppen der ET (konventioneller Risikoscore)

Hochrisiko (einer oder mehrere der folgenden Faktoren treffen zu)

  • Biologisches Alter > 60 Jahre
  • Vorangegangene thromboembolische Ereignisse oder Blutungskomplikationen
  • Thrombozytenzahl > 1 500 000/µl

Intermediärrisiko (bei ET-unabhängigen vaskulären Risikofaktoren)

  • Vorliegen von Herz-Kreislauf-Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes mellitus, erhöhte Cholesterinwerte, Rauchen, Übergewicht, Gefäßerkrankungen, hormonelle Verhütung
  • Erhöhte Thrombophiliemarker (angeborene, durch eine Blutuntersuchung feststellbare Faktoren, die auf eine erhöhte Blutgerinnungsneigung hinweisen)

Niedrigrisiko

  • Keine der oben genannten Risikofaktoren

Die Entscheidung, ob eine Therapie empfohlen wird, und welche Therapie dies ist, basiert auf den obigen Risikoeinteilungen. Daneben gibt es neuere Prognose-Bewertungssysteme wie den IPSET-Score, die auch molekulare Marker einbeziehen. Allerdings werden diese neuen Prognosescores bisher in Deutschland noch nicht flächendeckend für Therapieentscheidungen angewendet.

Die Erfahrungen der Mitglieder des mpn-netzwerks zeigen, dass schlecht informierte Behandelnde manchmal schockierende Angaben zur Lebenserwartung machen, die Betroffene stark verunsichern und unnötig Ängste schüren. Wird die Erkrankung aufmerksam beobachtet und bei Bedarf behandelt, haben Betroffene eine nahezu normale Lebenserwartung.

Wie ist der Verlauf einer ET?

Das Kennzeichen aller Myeloproliferativen Neoplasien ist, zumindest am Anfang, eine gesteigerte Produktion (Proliferation) bestimmter Blutzellen. Bei der ET steht nur eine Zellreihe im Vordergrund: die Thrombozyten. Im Knochenmark sind die Vorläufer dieser Thrombozyten, die Megakaryozyten, gesteigert, welche die Thrombozyten ins Blut abgeben. In den meisten pathologischen Befundberichten ist bei einer ET daher häufig von einer gesteigerten Megakaryopoese die Rede. Eine Auslagerung der Blutbildung aus dem Knochenmark in andere Organe findet zu diesem frühen Zeitpunkt der Erkrankung in der Regel noch nicht oder nur begrenzt statt. Die Milz ist daher im frühen Stadium nicht oder nur geringgradig vergrößert. Die bei Gesunden etwa 4 × 7 × 11 Zentimeter große Milz (Volumen 26-250 ml) kann auf weit über 25 Zentimeter Länge anschwellen und große Teile des Bauchraumes ausfüllen. Dies hat zur Folge, dass Organe wie der Magen verdrängt und in ihrer Funktion beeinträchtigt werden und es kann zu linksseitigen Oberbauchbeschwerden kommen.

Der Übergang einer durch eine Knochenmarkpunktion und einen histologischen Befund bestätigten „wahren“ ET in eine Myelofibrose (post-ET-MF) ist eher selten. Häufig handelt es sich bei diesen vermeintlichen Übergängen um eine präPMF, die fälschlicherweise als ET diagnostiziert wurde. Die präPMF wurde 2016 neu in die WHO-Klassifikation aufgenommen und bis dahin häufig als ET diagnostiziert.

Vereinzelt kommt es bei JAK2-V617F-positiven Erkrankten zu einem Übergang in eine Polycythaemia vera (PV). Oft kündigt sich dieser Übergang durch einen neu aufgetretenen erhöhten Hämatokritwert im Blut oder neu aufgetretene Symptome wie aquagener Pruritus (Juckreiz) nach Kontakt mit Wasser) oder andere Symptome an.

Der Übergang in eine Akute Myeloische Leukämie (AML) ist bei der ET eher selten.

Für die weitere Verlaufseinschätzung ist es daher sehr wichtig zu kontrollieren, ob es sich wirklich um eine wahre ET handelt. Auch aus diesem Grund ist es ratsam, den individuellen Krankheitsverlauf kontinuierlich ärztlich begleiten zu lassen – am besten in einem auf die Behandlung von MPN spezialisierten Zentrum. Dort ist man in der Lage, Veränderungen im Krankheitsverlauf (Beschwerden, Blutbild, Milzgröße, etc.) rasch zu erkennen, die Vor- und Nachteile einer medikamentösen Behandlung sorgfältig abzuwägen und gemeinsam mit der betroffenen Person die optimale Therapie zu finden.

Welche Komplikationen und Risiken können bei der ET auftreten?

Was versteht man unter Komplikationen und Risiken?

Was versteht man unter einer Komplikation?

Was versteht man unter einem Risiko?

Komplikationen bei einer ET

Bei einer ET müssen nicht zwangsläufig schwerwiegende Komplikationen auftreten. Allerdings ist die statistische Wahrscheinlichkeit größer als bei Nichtbetroffenen.

Durchblutungsstörungen

Chronischer Entzündungszustand

Blutungsneigung

Risiko: Übergang in eine andere Krankheitsform

Wann sollte mit einer Behandlung begonnen werden?

Die Entscheidung, wann der Zeitpunkt für einen Therapiebeginn gekommen ist, ist stets ein Kompromiss – zwischen der Notwendigkeit, krankheitsbedingte Beschwerden zu lindern und Komplikationen vorzubeugen auf der einen Seite und dem Risiko medikamentöser Nebenwirkungen auf der anderen. Für diese Entscheidung werden von ärztlicher Seite Kriterien zur Risikobewertung herangezogen. Diese berücksichtigen unterschiedliche Faktoren wie das Alter, Stadium der Erkrankung, Symptome und das persönliche Thromboserisiko, welche aber nur als Orientierung dienen, da jeder Fall individuell zu betrachten ist.

Faktoren für die Risikoabschätzung

Die DGHO-Behandlungsleitlinien unterscheiden verschiedene Risikogruppen bei Essentieller Thrombozythämie.

Niedrigrisiko

Intermediärrisiko

Hochrisiko

Weitere Faktoren, die ebenfalls in die Risikoabschätzung einfließen

Wie wird die ET behandelt?

Eine Heilung der ET ist nach heutigem Wissensstand durch eine medikamentöse Therapie nicht möglich.

Die derzeit einzige Chance auf Heilung von MPN ist die Stammzelltransplantation (SZT). Allerdings wird dieses Verfahren bei der ET nicht angewendet, da es immer noch mit ernsten Behandlungsrisiken (z. B. GvHD) behaftet ist, und da die Lebenserwartung von ET-Erkrankten gegenüber der Normalbevölkerung praktisch nicht eingeschränkt ist. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis einer SZT wäre für Betroffene mit ET zu gering.

Gleichwohl kann die ET gut behandelt werden. Eine einheitliche Therapieempfehlung für alle ET-Erkrankten gibt es nicht, auch weil Ausprägung und Verlauf in der Regel sehr unterschiedlich sind. Bei der Entscheidung für eine bestimmte Art der Behandlung ist nicht nur das Gesamtbefinden der erkrankten Person und die Risikoabschätzung zu berücksichtigen, sondern auch, wie gut sie die Einnahme eines bestimmten Medikamentes voraussichtlich verträgt. Allergische Reaktionen auf einen Wirkstoff sind daher ebenso auszuschließen wie unerwünschte Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und möglicherweise bestehenden Vorerkrankungen. Nicht zuletzt spielt auch die persönliche Einstellung von Betroffenen zur geplanten Behandlung eine entscheidende Rolle.

Ziele der Therapie

Vorbeugen von Durchblutungsstörungen

Reduzierung der Thrombozytenzahlen

Verhindern weiterer thromboembolischer Ereignisse

Welche Therapieoptionen gibt es?

Beobachten und Abwarten – watch and wait

Symptomfreie Betroffene der Niedrigrisiko-Gruppe kommen in der Regel ohne medikamentöse Therapie aus. Die Behandlung beschränkt sich darauf, den Krankheitsverlauf zu beobachten durch eine etwa vierteljährliche Kontrolle des Blutbildes und abzuwarten („watch and wait“-Strategie). Empfohlen wird eine umfassende jährliche Untersuchung. Dazu gehört auch eine Sonographie der Milz. Eine erneute Knochenmarkpunktion ist nur nötig, wenn sich der Krankheitsverlauf gravierend verändert, z.B. durch das Auftreten von Erythrozyten-Tränenformen (auch als „tear drop“-Erys bezeichnet), unreifen Erythrozyten (Erythroblasten) oder unreifen weißen Blutkörperchen im Blut, die den beginnenden Übergang in eine Myelofibrose anzeigen können.

Thrombozytenaggregationshemmer

Thrombozytenaggregationshemmer (TAH) verhindern die Verklumpung der Blutplättchen und setzen so die Blutstillungs- und Gerinnungsaktivität herab. Dies verbessert die Fließeigenschaften des Blutes und beugt Durchblutungsstörungen vor.

Acetylsalicylsäure (ASS)

Zellreduzierende Medikamente

ine Behandlung mit zellreduzierenden Medikamenten ist immer dann die Therapie der Wahl, wenn Betroffene biologisch älter als 60 Jahre sind, es in der Vergangenheit – trotz ASS – bereits zu thromboembolischen Ereignissen gekommen ist oder die Thrombozytenzahl über 1,5 Millionen
pro µl steigt. Ziel der Behandlung ist es, die Thrombozyten in den Normbereich abzusenken.

Es werden verschiedene Wirkstoffe eingesetzt (u.a. Hydroxyurea, Anagrelid, Interferon, Busulfan), die sowohl mit ASS als auch untereinander kombinierbar sind. Um die Nebenwirkungen möglichst gering zu halten, kann es unter Umständen sinnvoller sein, zellreduzierende Medikamente niedrig zu dosieren und ASS zu nehmen, statt auf ASS um den Preis sehr hoher Dosierungen zu verzichten. Hier ist es die ärztliche Aufgabe, Risiken und Nebenwirkungen gegeneinander abzuwägen und dies mit der betroffenen Person zu besprechen.
Da die Blutwerte nach dem Absetzen der zellreduzierenden Medikamente unterschiedlich schnell wieder ansteigen, ist – außer in einzelnen Fällen nach Interferon-alpha-Behandlung – in der Regel eine dauerhafte Erhaltungstherapie erforderlich. Die Dosierungen der einzelnen Wirkstoffe sind individuell verschieden und können sich im Verlauf der Erkrankung ändern. Deshalb sind regelmäßige Blutwertkontrollen auch bei einer gut eingestellten medikamentösen Behandlung nötig.

HUHydroxyurea (= Hydroxycarbamid)

Symptomorientierte Therapien

Die Entdeckung der JAK2-Mutation hat nicht nur das Verständnis für die MPN verbessert, sondern stellt die Basis für neue Therapieoptionen, die sogenannten JAK-Inhibitoren dar. Diese können die Aktivierung von Signalwegen durch alle relevanten Treibermutationen (JAK2, MPL, CALR) hemmen und somit zielgerichtet wirken.
Ruxolitinib (Handelsname Jakavi), ein für die PV und PMF zugelassener, sogenannter JAK-Inhibitor, ist auch bei ET wirksam, aber nicht für diese MPN-Form zugelassen. Mit Fedratinib (Handelsname Inrebic) ist inzwischen ein weiterer JAK-Inhibitor für die Behandlung der Myelofibrose zugelassen, der das Behandlungsspektrum prinzipiell erweitert, aber ebenfalls für die ET nicht zugelassen ist.

Wichtig zu wissen:

Es besteht ein Unterschied zwischen Indikation und Zulassung. Während die Indikation für die Therapie-Entscheidung eine wichtige Rolle spielt, ist die Zulassung relevant für die Kostenerstattung der Therapie durch die Krankenkassen.

Bei klarer Indikation für eine zulassungsüberschreitende Therapie kann eine Kostenübernahme bei der Kasse beantragt werden. Von ärztlicher Seite wird eine Verordnung häufig aus guten Gründen gescheut, um mögliche Regress-Forderungen zu vermeiden. Ein Kostenübernahmeantrag kann dann über ein Referenzzentrum z.B. im Rahmen einer Zweitmeinung erfolgen.

Für seltene Erkrankungen oder bei einer geringen Zahl von Betroffenen werden oft keine Zulassungsstudien erfolgen, so dass die Leitlinien auch immer zulassungsüberschreitende Medikamente (Off-Label-Use) benennen, welche indiziert und wirksam sind.

Informationen zum Einsatz nicht zugelassener Arzneimittel finden sich auf der Webseite der Deutschen Leukämie- und Lymphomhilfe, Info-Blatt: Therapie Off-Label-Use, No-Label-Use, Compassionate-Use – was bedeutet das für den Patienten?

Informationen zu den Wirkstoffen Ruxolitinib und Fedratinib finden Sie unter PMF/Therapieoptionen.

Interferon-alpha (IFN)

Gibt es noch andere Behandlungsmethoden?

Komplementärmedizinische Verfahren sind nur in Ergänzung zur schulmedizinischen Behandlung zu sehen. Sie können die Begleitsymptomatik verbessern und damit die Lebensqualität erhöhen.
Einen verantwortungsvollen Therapeuten erkennt man unter anderem daran, dass er nicht vorgibt, die ET mit alternativen Methoden heilen zu können.

Mehr erfahren Sie unter Lebensqualität trotz MPN.

Es finden immer wieder weltweit klinische Studien zur Erforschung neuer Therapieansätze für die ET statt. Wenn sich eine neue Behandlungsmethode als wirksam und verträglich herausstellt, kann diese Therapie Eingang in die Therapieleitlinien finden.

Regelmäßige Kontrollen sind wichtig

Die Behandlungsleitlinien der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) empfehlen folgende Untersuchungen, um den Verlauf der ET dauerhaft zu kontrollieren:

  • Blutuntersuchung: Die Abstände können je nach Schwere der Erkrankung und Therapie zwischen wenigen Tagen (z.B. bei Therapieeinstieg) und mehreren Monaten (bei stabilem Verlauf) variieren
  • eine halbjährliche umfassende Untersuchung mit einem ausführlichen ärztlichen Gespräch, um den Krankheitsverlauf, mögliche Komplikationen und Therapienebenwirkungen zu überwachen
  • etwa jährlicher Ultraschall des Oberbauchs, vor allem wegen möglicher Milzvergrößerung

Eine erneute Untersuchung des Knochenmarks ist nur nötig, wenn sich das Befinden oder die Blutwerte gravierend verändern. Dies kann ein Hinweis darauf sein, dass die Krankheit voranschreitet. Vor einer geplanten Therapieumstellung kann eine Knochenmarkbiopsie ebenfalls sinnvoll sein.

Sämtliche Empfehlungen der DGHO dienen lediglich als Orientierung. Ausschlaggebend für die Häufigkeit von bestimmten Untersuchungen sind der individuelle Krankheitsverlauf und das Befinden. Im Idealfall arbeiten Ärztin und Patient in diesen Fragen zusammen.

Fazit

Keine kurative Behandlung

Trotz neuer, hoffnungsvoller Ansätze in der Medikamentenforschung gehört die ET zu den Erkrankungen, für die es derzeit keine kurative (heilende) Behandlung gibt.

Vielmehr muss man von einer medizinischen Begleitung der Krankheit sprechen, bei der die ärztliche Aufgabe primär darin besteht, mögliche Komplikationen der Blutbildungsstörung zu verhindern beziehungsweise die Symptome des Erkrankten zu behandeln.

Einzelne Therapieansätze werden aber aktuell darauf untersucht, ob sie ggf. den Verlauf der Erkrankung beeinflussen können.

Der Erhalt beziehungsweise die Wiederherstellung der Lebensqualität sollte in der Zusammenarbeit von Arzt und Patientin im Vordergrund stehen.

»Primum non nocere« – »zuallererst: Füge keinen Schaden zu.«

MPN-Register

Zusätzlich zur Erforschung neuer Medikamente ist es für eine effektive Therapie von ET-Betroffenen unverzichtbar, die Erfahrungen mit bisherigen Behandlungsstrategien systematisch zu erfassen und auszuwerten. Vor diesem Hintergrund begrüßt das mpn-netzwerk ausdrücklich die Einführung des Registers der German Study Group for MPN (GSG-MPN Register) und empfiehlt allen Betroffenen, durch ihre Teilnahme aktiv zur Vermehrung des Wissens über MPN-Erkrankungen und deren Behandlung beizutragen.

Das MPN-Register

Austausch mit anderen Betroffenen

Der Austausch mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen oder -organisationen kann helfen, das Hier und Jetzt nicht zu vergessen. Das mpn-netzwerk lädt Sie daher abschließend herzlich ein, sich am Austausch im Forum sowie auf den Regional- und Jahrestreffen des Vereins zu beteiligen.

Wir danken Prof. Steffen Koschmieder, Aachen, für die fachliche Beratung und das Gegenlesen dieses Textes.

Quellen und Links: