Polycythaemia vera (PV):
Häufig gestellte Fragen
Stand: Oktober 2016
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Definition, Ursachen, Diagnose, Symptome
Was ist eine Polycythaemia vera (PV)?
Der Begriff Polycythaemia vera kommt zum einen aus dem Griechischen und bedeutet viele (poly) Zellen (cyt) im Blut (haemia) und zum anderen von dem lateinischen Wort für wahr (vera). Die Polycythaemia vera (PV) ist, wie alle MPN-Formen, eine Erkrankung der blutbildenden Zellen im Knochenmark. Obwohl bei der PV in der Regel eine Vermehrung aller drei blutbildenden Zellreihen vorliegt (Vorstufen der roten Blutzellen, weißen Blutzellen und der Blutplättchen), steht im Allgemeinen die chronische Überproduktion der roten Blutzellen (Erythrozyten) im Vordergrund.
Erhöhter Hämatokrit
In Folge dieser Überproduktion der roten Blutzellen steigt der Hämatokritwert, der den prozentualen Anteil dieser Zellen im Blut anzeigt. Der Hämatokrit ist ein Gradmesser für die Zähflüssigkeit (Viskosität) des Blutes. Der Normbereich liegt für Männer bei 40 bis 52 Prozent, für Frauen bei 37 bis 47 Prozent. PV-Patienten haben zum Diagnosezeitpunkt nicht selten Werte von über 60 Prozent.
Häufig zeigt das Blutbild zusätzlich erhöhte Werte für Thrombozyten (Blutplättchen) und Leukozyten (weiße Blutzellen).
Welche Ursachen hat die PV?
Allen MPN-Erkrankungen liegt eine Funktionsstörung der blutbildenden Zellen im Knochen- mark zugrunde – auch der PV. Die genauen Ursachen dieses Defekts sind bislang nicht bekannt. So gibt es aktuell keine gesicherten Erkenntnisse darüber, ob beispielsweise ein bestimmter Lebenswandel, der berufsbedingte Umgang mit Chemikalien oder sonstige Umwelteinflüsse die Entstehung einer PV begünstigen können. Am wahrscheinlichsten ist, dass sich eine PV im Laufe des Lebens zufällig entwickelt.
Im Jahre 2005 entdeckten mehrere Forscherteams nahezu gleichzeitig, dass bei fast allen Myeloproliferativen Erkrankungen eine charakteristische Genveränderung auf dem Chromosom 9 vorliegt: die sogenannte JAK2-Mutation (JAK = Janus-Kinase). Bei der Janus-Kinase handelt es sich um ein Protein (Enzym), das eine wichtige Rolle bei der Signalübertragung in der Zelle spielt. In Zellen, die diese Mutation tragen, ist das Enzym dauerhaft aktiviert, das heißt der »Schalter« steht permanent auf »Ein«. In der Folge teilt sich die Zelle ununterbrochen, was im Falle der PV zu einer unkontrollierten Vermehrung insbesondere der Erythrozyten führt. Die JAK2-Mutation lässt sich bei 95 Prozent der PV-Patienten nachweisen. Neuere Untersuchungen zeigen, dass bei einigen MPN-Patienten zusätzlich zur Mutation im JAK2-Gen weitere Genveränderungen vorliegen. Wissenschaftler vermuten, dass das Muster der Mutationen Einfluss auf das Krankheitsbild und den individuellen Krankheitsverlauf hat. Außerdem scheint eine höhere Anzahl von Mutationen mit einem aggressiveren Krankheitsverlauf einherzugehen.
Wie wird die PV festgestellt?
Ein erhöhter Hämatokritwert fällt häufig bei einer Routineuntersuchung auf oder ergibt sich als Zufallsbefund im Rahmen der Diagnostik und Therapie anderer Erkrankungen. Nicht selten suchen Patienten einen Arzt auf, weil sie unter Durchblutungsstörungen (Mikrozirkulationsstörungen) oder massivem Juckreiz vor allem nach Wasserkontakt leiden (aquagener Pruritus). Auch schwerwiegende Komplikationen wie eine Thrombose, ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall führen bisweilen zur Diagnose PV.
Allerdings zeigen die Erfahrungen der Mitglieder des mpn-netzwerks, dass viele Ärzte diesen Befund zunächst nicht richtig einordnen, da Veränderungen des Blutbildes verschiedene Ursachen haben können. Mitunter werden sie sogar als Laborfehler abgetan. Außerdem ist die PV – wie bereits erwähnt – selbst unter Ärzten noch immer relativ unbekannt. Bevor Mediziner eine Polycythaemia vera in Erwägung ziehen, werden sie daher zunächst andere mögliche Ursachen abklären. Denn in 95 Prozent der Fälle hat eine Erhöhung des Hämatokrits beziehungsweise der Blutwerte andere Ursachen als eine MPN-Erkrankung.
Facharzt hinzuziehen
Besteht der Verdacht auf das Vorliegen einer PV, sollte stets ein Hämatologe hinzugezogen werden. Dieser ist darin geschult, eine Diagnose auf Basis der aktuellen Behandlungsleitlinien der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) zu stellen.
Wichtigstes Kriterium für die Diagnosestellung ist die Höhe des Hämoglobinwerts.
Auch vermehrte Thrombozyten können auf eine PV hinweisen.
Die PV-Diagnosekriterien im Überblick
Hauptkriterien
- Hämoglobin >16,5 g/dl bei Männern, >16,0 g/dl bei Frauen oder Hämatokrit >49% bei Männern, >48% bei Frauen
- Trilineäre Myeloproliferation mit pleomorpher Megakaryopoese (Erhöhte Zellzahlen mit gesteigerter Neubildung von Erythrozyten, Leukozyten, Thrombozyten mit einer vielgestaltigen Ausbildung der Thrombozytenvorläufer)
- Nachweis derJAK2V617F-Mutation oder einer anderen funktionell ähnlichen Mutation (z. B.Mutation im Exon 12 des JAK2-Gens)
Nebenkriterien
- niedriger Erythropoetin (Erythropoetin)-Spiegel
Die Diagnose PV gilt als gesichert, wenn alle drei Hauptkriterien oder die ersten beiden Hauptkriterien und das Nebenkriterium erfüllt sind.
Die Diagnostik der PV erfolgt anhand folgender Untersuchungen
Blutuntersuchung
Die Laboranalyse der Blutprobe fördert bei fast allen PV-Patienten Unregelmäßigkeiten bei den Blutwerten zutage: So können neben dem Hämatokrit, dem Hämoglobin und den Erythrozyten häufig auch die Thrombozyten (> 400.000/μl) oder Leukozyten (> 10.000/μl) erhöht sein.
Schwierigkeiten bereitet die Diagnose, wenn ausschließlich erhöhte Erythrozytenwerte auftreten. In diesem Fall muss ausgeschlossen werden, dass eine andere Ursache für die Vermehrung der Erythrozyten verantwortlich ist – etwa ein erhöhter Erythropoetinspiegel im Blutplasma oder ein relativer Sauerstoffmangel durch Lungenerkrankungen oder Rauchen.
Bei Patienten indes, die zwar erhöhte Thrombozyten, aber noch einen normgerechten oder nur leicht erhöhten Hämatokrit (48 bis 52%) aufweisen, gilt es zu prüfen, ob gegebenenfalls eine Essenzielle Thrombozythämie (ET) vorliegt. Diese Unterscheidung diagnostisch abzusichern ist deshalb wichtig, da sich die Art der Behandlung teilweise unterscheidet. In Einzelfällen gestaltet sich die Abgrenzung der verschiedenen MPN-Krankheitsbilder derart schwierig, dass eine sichere Unterscheidung in PV, ET oder PMF nur über die längerfristige Beobachtung des Krankheitsverlaufs möglich ist.
Molekulargenetische Untersuchung
Die molekulargenetische Analyse zielt vor allem auf den Nachweis der JAK2-Mutation ab. Diese kann im Rahmen einer Blutuntersuchung erfolgen. Bei etwa 95 Prozent der PV-Betroffenen fällt der Test positiv aus. In diesen Fällen kann das Vorliegen einer PV bei dauerhaft erhöhtem Hämatokrit als gesichert gelten.
Der Nachweis der JAK2-Mutation sagt zunächst nichts darüber aus, um welche Myeloproliferative Erkrankung es sich handelt, da sie sowohl bei der ET als auch bei der PV und der PMF auftreten kann. Allerdings tragen nicht alle Erkrankten die Mutation. Ein negatives Testergebnis bedeutet daher nicht, dass eine MPN sicher ausgeschlossen werden kann.
Ultraschall des Bauchraums
Als Folge der PV ist bei den meisten Betroffenen die Milz mehr oder weniger stark vergrößert (Splenomegalie). Grund ist der krankheitsbedingt gesteigerte Zellumsatz, weshalb die Milz besonders viele alte und veränderte Blutzellen abbauen muss. In manchen Fällen merken die Betroffenen diese Vergrößerung gar nicht, sodass sie erst beim Ultraschall auffällt. Bei anderen weisen bereits diffuse Bauchbeschwerden auf die große Milz hin.
Knochenmarkspunktion
Außer dem JAK2-Nachweis ist die Knochenmarkspunktion (KMP) die wichtigste Methode, um eine PV eindeutig diagnostizieren zu können – und daher meist unumgänglich. Hintergrund ist, dass sich die veränderten blutbildenden Zellen des Knochenmarks nur unter dem Mikroskop genauer untersuchen lassen. Zu diesem Zweck entnimmt der Arzt eine Gewebeprobe, meist aus dem Beckenknochen. Der Eingriff erfolgt in der Regel ambulant, sodass der Patient anschließend wieder nach Hause gehen kann.
Die Knochenmarkspunktion ist nicht zu verwechseln mit einer Rückenmarkspunktion (Lumbalpunktion), bei der im Bereich der Lendenwirbelsäule Nervenwasser entnommen wird. Bei fachgerechter Ausführung ist der Eingriff im Allgemeinen nur wenig schmerzhaft. Allerdings erleben Patienten die Untersuchung durchaus unterschiedlich. Schlimmer als der tatsächliche Schmerz ist in vielen Fällen die mit dem Eingriff verbundene Angst. Sollte die Angst vor einer KMP zu groß sein, können Betroffenen den Arzt um eine »Kurznarkose« bitten.
Bei einer KMP liegt der Patient auf der Seite oder auf dem Bauch. Nachdem der Arzt die Entnahmestelle desinfiziert und örtlich betäubt hat, führt er eine spezielle Nadel durch Haut und Beckenknochen ins Knochenmark ein. Dort entnimmt er zwei Proben: Einen kleinen Zylinder festen Knochenmarks und eine Probe mit den flüssigen Bestandteilen des Knochenmarks. Das Einführen der Punktionsnadel wird meist als nur wenig schmerzhaft empfunden, allerdings kann das Ansaugen des Knochenmarks einen kurzen, heftigen Schmerz verursachen. Die KMP-Wunde ist so klein, dass sie nicht genäht werden muss. Bis sie verheilt ist, sollte der Patient einige Tage weder duschen noch baden.
Nach der Entnahme der Knochenmarksprobe nimmt ein Facharzt für Pathologie eine gründliche histologische und zytologische Untersuchung vor. Mithilfe besonderer Färbetechniken prüft der Mediziner, ob, beziehungsweise in welcher Weise, das Knochenmark verändert ist. Da jede Myeloproliferative Erkrankung mit einem spezifischen Erscheinungsbild im Knochenmark einhergeht, können Experten in den meisten Fällen eindeutig bestimmen, ob es sich im vorliegenden Fall um eine ET, PV oder PMF handelt.
Wichtig zu wissen: Letztlich stellt jede Knochenmarkspunktion nur eine Momentaufnahme dar, die in der Regel keine Aussage über den weiteren Verlauf der Erkrankung zulässt.
Welche Symptome können auf eine PV hindeuten?
Es ist nicht selten, dass die Erkrankung schleichend beginnt und Patienten zum Zeitpunkt der Diagnose keinerlei Beschwerden haben.
Wenn Symptome auftreten, sind die häufigsten Beschwerden:
- Mikrozirkulationsstörungen, wie zum Beispiel Durchblutungsstörungen an Händen und Füßen
- Schwindel, Kopfschmerzen und Sehstörungen
- Juckreiz, der insbesondere nach heißem Duschen oder Baden auftritt (aquagener Pruritus).
Insbesondere der Juckreiz wird von vielen Betroffenen als besonders belastend empfunden.
- Weitere Symptome, die im Zusammenhang mit einer PV auftreten können:Ohrensausen, Tinnitus (Ohrgeräusche)
- Kopfdruck, Gesichtsrötung
- Müdigkeit, Abgeschlagenheit
- Hauttrockenheit
- Nachtschweiß
- Hämatome (Blutergüsse), teilweise. mit Verhärtungen/Schwellungen
- Wadenkrämpfe
- Schmerzen in den Beinen
- Glieder- und Knochenschmerzen
- Bluthochdruck (Hypertonie)
- Nasen- und Zahnfleischbluten
- ungewöhnlich starke (u. U. auch schwache) Menstruationsblutungen
- Druckgefühle und/oder Schmerzen im linken Oberbauch (wg. Milzvergrößerung)
- Bläuliche Verfärbung, Schmerzen, Kribbeln, Brennen oder Taubheitsgefühle der Finger und/oder Zehenspitzen (Erythromelalgie)
- Missempfindungen der Haut (z. B. Gefühl, als würde etwas über den Arm krabbeln)
- Atemnot (selten; bei Patienten mit Herz- Kreislauf-Erkrankungen)
Häufigkeit, Vererbung, Komplikationen
Wie verbreitet ist die PV?
PV gehört zu den seltenen Erkrankungen. Man geht von einer Betroffenenzahl von ca. 24.000 Menschen in Deutschland aus. Noch heute gilt die PV als eine Erkrankung des höheren Lebensalters. So haben Betroffene bei der Diagnose das sechzigste Lebensjahr meist überschritten. Jedoch nimmt die Zahl an Erkrankten im mittleren Lebensalter immer mehr zu. Ob dies an verbesserten Nachweismethoden oder an einem Anstieg an Fällen liegt, ist nicht geklärt.
Ist die PV vererbbar?
Die PV ist nach dem derzeitigen Stand der Forschung nicht vererbbar. Vielmehr handelt es sich um eine erworbene Erkrankung, die irgendwann im Laufe des Lebens zufällig auftritt.
Stammbaumuntersuchungen deuten jedoch darauf hin, dass die Myeloproliferativen Neoplasien in Einzelfällen familiär gehäuft auftreten können. Eine genetische Veranlagung, die Krankheit im Laufe des Lebens eventuell zu erwerben, kann daher zumindest zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden. Um diese Frage abschließend beantworten zu können, wird weiterhin geforscht.
Welche Komplikationen können bei einer PV auftreten?
Bei einer PV müssen nicht zwangsläufig schwerwiegende Komplikationen auftreten.Allerdings ist die statistische Wahrscheinlichkeit höher als bei Nichterkrankten.
Ernste Komplikationen äußern sich in erster Linie als sogenannte thromboembolische Ereignisse wie zum Beispiel Thrombosen, Schlaganfälle oder Embolien. Dabei kommt es zum Verschluss eines Blutgefäßes infolge eines Blutgerinnsels (Thrombus). Das umliegende Gewebe wird fortan nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt und stirbt ab.
Wie bereits dargestellt, steigt das Risiko solcher Komplikationen mit zunehmender Zähflüssigkeit des Blutes. Die engmaschige Kontrolle des Hämatokrits ist daher von entscheidender Bedeutung in der Behandlung der PV.
Mehr Thrombosen und Embolien als bei Gesunden
Am häufigsten äußern sich ernste Komplikationen als thromboembolische Ereignisse, wie Thrombosen, Embolien oder Schlaganfälle. Hierbei kommt es zu einem Gerinsel (Thrombus), wodurch umliegendes Gewebe nicht ausreichend mit Blut versorgt wird und abstirbt.
Verständlicherweise steigt das Risiko solcher Komplikationen mit der “Zähflüssigkeit” des Blutes. Daher ist die Kontrolle des Hämatokrits von entscheidender Bedeutung in der Behandlung der PV.
Erhöhte Blutungsneigung
Bei stark erhöhten Thrombozyten kann gleichzeitig die Blutungsneigung steigen, was zu Haut- und Schleimhautblutungen (Blutergüsse, Nasenbluten, etc.), im Einzelfall auch Magen-Darm- oder Hirnblutungen führen kann. Ursache hierfür ist eine ebenfalls krankheitsbedingte Funktionsstörung der Thrombozyten (Blutplättchen). Diese führt dazu, dass die Blutplättchen nicht mehr in der Lage sind, ihre angestammte Aufgabe zu erfüllen: nämlich Blutungen zu stoppen, indem sie miteinander verklumpen und dadurch das verletzte Gefäß abdichten.
Schwerwiegende Komplikationen
Zu den möglichen schwerwiegenderen Komplikationen aufgrund der gesteigerten Thrombose- bzw. Emboliegefahr zählen:
- Beinvenenthrombose
- Pfortaderthrombose
- Lebervenenverschluss (Budd-Chiari-Syndrom)
- Herzinfarkt
- Milzinfarkt
- TIA (Abkürzung für: Transitorisch ischämische Attacke, dies bedeutet eine vorübergehende Schlaganfallsymptomatik)
- Lähmungserscheinungen (u. U. Schlaganfallanzeichen)
- Schlaganfall
- Lungenembolie
- Zu den möglichen schwerwiegenderen Komplikationen einer ggf. gesteigerten Blutungsneigung gehören
- gastrointestinale (Magen-Darm) Blutungen
- Hirnblutungen (sehr selten)
Maßnahmen zur Senkung des Risikos für Komplikationen
Um das persönliche Risiko für etwaige Komplikationen zu senken, sind eine aufmerksame Selbstwahrnehmung und regelmäßige Arztbesuche zwingend erforderlich. Darüber hinaus gelten dieselben Empfehlungen wie für Gesunde, die ihr Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko begrenzen wollen:
- Nicht rauchen
- Effektive Behandlung von Herz- und Kreislauferkrankungen, Diabetes,hohem Cholesterinspiegel, etc.
- Ausgewogen ernähren, Übergewicht reduzieren
- Regelmäßige Bewegung, z. B. Ausdauersport, Venengymnastik
Ergänzend hierzu ist es wichtig, ausreichend zu trinken, sofern nicht andere Krankheiten dagegen sprechen. Dies gilt insbesondere für längere Autofahrten und Langstreckenflüge. Außerdem ist es ratsam, sich zwischendurch häufiger zu bewegen.
Veränderungen im Krankheitsverlauf
Im Laufe der Erkrankung kann die PV unter Umständen in eine sekundäre Myelofibrose (sMF) übergehen, auch als Post-PV-Myelofibrose bezeichnet. In diesen Fällen kommt es zu einer verstärkten Faserbildung im Knochenmark, sodass die Blutbildung nicht mehr ausreichend gewährleistet ist. Diese Veränderung äußert sich zunächst in einem Abfall der Blutwerte und führt langfristig zu einer Anämie (Blutarmut), häufig verbunden mit ebenfalls sinkenden Thrombozyten und Leukozyten.
In sehr seltenen Fällen kann es – meist nach jahrzehntelangem Verlauf – zu einem Übergang der PV in eine Akute Myeloische Leukämie (AML) kommen. Patienten, die bereits eine Post-PV-Myelofibrose entwickelt haben, tragen ein erhöhtes Risiko. Aus diesen Gründen ist es ratsam, den individuellen Krankheitsverlauf kontinuierlich ärztlich begleiten zu lassen – am besten von einem auf die Behandlung von MPN spezialisierten Hämatologen. Dieser ist in der Lage, Veränderungen im Blutbild rasch zu erkennen, die Vor- und Nachteile einer medikamentösen Behandlung sorgfältig abzuwägen und gemeinsam mit dem Patienten die optimale Therapie zu finden.
Unseriöse Angaben im Internet
Dies gilt einmal mehr, da im Internet eine Fülle von Falschinformationen und Halbwahrheiten über Myeloproliferative Erkrankungen zu finden sind. Außerdem zeigen die Erfahrungen der Mitglieder des mpn-netzwerks, dass schlecht informierte Ärzte häufig schockierende Angaben zur Lebenserwartung machen, die die Patienten stark verunsichern und unnötig Ängste schüren. Wird die Erkrankung aufmerksam beobachtet und bei Bedarf behandelt, ist die Lebenserwartung von PV-Patienten gegenüber der Normalbevölkerung kaum eingeschränkt.
Behandlungsbeginn, Therapie, Prognose
Wann sollte mit einer Behandlung begonnen werden?
Der Einstieg in eine Therapie ist häufig ein Kompromiss zwischen der Bekämpfung von Beschwerden und Eingrenzung von Risiken auf der einen Seite und dem Auftreten von Nebenwirkungen durch die Medikamente auf der anderen Seite.
Im Hinblick auf die Wahl der richtigen Therapie wäre es besonders wichtig, jene Patienten herauszufinden, die ein hohes Risiko für Thrombosen haben und daher von einer medikamentösen Therapie eindeutig profitieren. Leider ist diese Auswahl noch immer relativ schwierig. Allgemeine Kriterien können nur als Orientierung dienen, da für die Behandlungsentscheidung jeder Fall individuell betrachtet werden muss (Alter, Symptome, Stand der Erkrankung, persönliches Thromboserisiko, Vorgeschichte etc.).
Eine Auswahl von Faktoren, die in die Risikoabschätzung einfließen
- Wie alt ist der Patient?
- Seit wann besteht die Diagnose und wie war der bisherige Krankheitsverlauf?
- Sind beim Patienten oder in seiner Familie bereits gravierende Komplikationen
- aufgetreten wie z. B. Thrombosen oder Blutungen?
- Bestehen PV-unabhängig Risikofaktoren für thromboembolische Ereignisse wie
- Rauchen, Pille, Gefäßerkrankungen, Diabetes, Übergewicht, etc.?
- Ist der Betroffene JAK2-positiv?
- Wie häufig sind Aderlässe notwendig? Mehr als 12 × pro Jahr?
- Besteht ein symptomatischer Eisenmangel,der keine Fortführung der Aderlässe erlaubt?
- Liegt eine Milzvergrößerung vor und bereitet diese Probleme? (Oberbauchschmerzen o. Ä.)
- Sind die Thrombozyten stark erhöht?
- Wie ist das Gesamtbefinden?
- Wie wird die Verträglichkeit von Medikamenten eingeschätzt?
- (Allergien, Nebenwirkungen, etc.)
Wie wird die PV behandelt?
Die PV ist eine chronische Erkrankung, die nach heutigem Wissensstand medikamentös nicht geheilt, wohl aber gut behandelt werden kann.
Einzige Chance auf Heilung: Knochenmark- bzw. Stammzelltransplantation
Die derzeit einzige Chance auf Heilung der PV ist eine Knochenmarkstransplantation (KMT) beziehungsweise Stammzelltransplantation (SZT). Da die Lebenserwartung von PV-Patienten gegenüber der Normalbevölkerung praktisch nur wenig eingeschränkt ist, gilt dieses Verfahren trotz großer Fortschritte derzeit nicht als ernstzunehmende Option. Der Grund ist, dass eine KMT noch immer mit großen Behandlungsrisiken behaftet ist.
Da Ausprägung und Verlauf in der Regel sehr unterschiedlich sind, ist es notwendig, die Behandlung auf die individuelle Erkrankungssituation und Risikoeinstufung zuzuschneiden. Hierbei gilt es, nicht nur das Gesamtbefinden des Patienten zu berücksichtigen, sondern auch, wie gut er die Einnahme eines bestimmten Medikamentes voraussichtlich vertragen wird. Allergische Reaktionen auf einen Wirkstoff sind ebenso auszuschließen wie unerwünschte Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Nicht zuletzt spielt auch die persönliche Einstellung des Patienten zur geplanten Behandlung eine entscheidende Rolle.
Eine einheitliche Therapieempfehlung für alle PV-Patienten gibt es nicht!
Jede Behandlung hat Risiken und Nebenwirkungen, die im Einzelfall gegen den Nutzen abgewogen werden müssen. Die Verträglichkeit und auch die Wirksamkeit der verschiedenen Medikamente sind individuell unterschiedlich, sodass häufig erst ein Behandlungsversuch ein Urteil ermöglicht. Arzt und Patient sollten sich beraten und gemeinsam die optimale Therapie herausfinden. Diese kann im langjährigen Verlauf durchaus wechseln. Ziel einer medikamentösen Therapie ist, bereits bestehende Symptome zu lindern, das Thrombose- und Embolierisiko zu senken, Blutungen zu verhindern und Komplikationen wie den Übergang in eine sekundäre Myelofibrose oder Akute Myeloische Leukämie zu vermeiden. Gravierende Zwischenfälle wie etwa eine Thrombose, ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall erfordern einen sofortigen Einstieg in eine Behandlung, um die Zellzahlen nachhaltig zu reduzieren und so die akute Gefahr abzuwenden und das Risiko weiterer Komplikationen zu minimieren.
Zu Beginn der Erkrankung reicht es in vielen Fällen aus, die Werte durch gelegentliche Aderlässe im Normbereich zu halten. In der Regel wird zusätzlich die prophylaktische Einnahme von Acetylsalicylsäure (ASS) in niedriger Dosierung empfohlen (100 mg/ Tag), da es in Studien seine vorbeugende Wirkung gegen arterielle Thrombosen bei PV-Patienten bewiesen hat. Auch beim Auftreten von Durchblutungsstörungen wird zunächst beobachtet, ob die Symptome unter der Einnahme von ASS zurückgehen. Liegt eine gesteigerte Blutungsneigung vor, sollte auf ASS verzichtet werden, um diese nicht zusätzlich zu verstärken. Sind dauerhaft in sehr kurzen Abständen Aderlässe notwendig (häufiger als ca. 12 Mal jährlich 500 ml), wird in der Regel eine medikamentöse Therapie zur Verminderung der Zellbildung in Erwägung gezogen (zytoreduktive Therapie). Gleiches gilt bei sehr hohen Thrombozyten- (> 1 Mio.) oder Leukozytenzahlen, da sich diese nicht durch Aderlässe senken lassen. Auch eine stark vergrößerte Milz, die möglicherweise Beschwerden verursacht, kann Anlass für den Einstieg in eine zellreduzierende Therapie sein, da diese die Milz unter Umständen wieder verkleinern kann.
Aderlasstherapie
Der etwas altertümlich klingende Ausdruck Aderlass (Phlebotomie) steht für die Entnahme einer größeren Menge Blut, ähnlich wie bei einer Blutspende. In der Regel werden pro Aderlass 250 bis 500 ml Blut entnommen. Der Aderlass reduziert das Blutvolumen, wodurch sich meist auch der erhöhte Hämatokrit schnell und effektiv absenken lässt. Je nach Höhe des Hämatokrits sind zu Beginn der Behandlung unter Umständen mehrere Aderlässe hintereinander in zwei- bis dreitägigen Abständen notwendig.
Die Aderlasstherapie ist die älteste, wirkungsvollste und nebenwirkungsärmste Behandlungsmöglichkeit der PV.
Die Kriterien für den Beginn einer Aderlasstherapie können je nach individuellen Risikofaktoren von Fall zu Fall variieren. Entscheidend ist, den Hämatokrit mittels Aderlass, Hydroxyurea oder beidem zusammen auf unter 45 Prozent zu senken. Gestützt wird diese Empfehlung durch die Ergebnisse einer kürzlich abgeschlossenen Studie aus Italien. Diese konnte belegen, dass sich nur mit einem Hämatokrit unterhalb dieses Zielwerts die Zähflüssigkeit des Blutes und damit die Thromboseneigung wirksam reduzieren lassen.
Abstände zwischen den Aderlässen
Die Abstände zwischen den Aderlässen (Aderlassfrequenz) werden nach diesem anfänglichen Absenken größer, weil durch die umfangreichen Blutentnahmen ein gewollter Eisenmangel erzeugt wird, der die Nachproduktion von Erythrozyten (Zellmasse) hemmt. Nach Möglichkeit sollte der Hämatokrit auf einen gleichmäßigen Wert zwischen 40 und 45 % eingestellt werden. Abhängig vom Befinden des Patienten und seinen individuellen Risikofaktoren sind jedoch im Einzelfall auch höhere Werte vertretbar.
Eisenmangelsymptome nach Aderlass
Die Aderlasstherapie bewirkt nicht nur eine Verringerung des Blutvolumens, sondern auch einen Eisenmangel, der im Falle der PV jedoch erwünscht ist. Anders als bei Gesunden, wird er in der Regel nicht behandelt. Der Grund ist, dass von außen zugeführtes Eisen die Neuproduktion von Erythrozyten anregen würde, was den Hämatokrit rasch wieder ansteigen ließe. Zudem beeinflusst der Eisenmangel die Dynamik zwischen Erythrozytenzahl, Hämatokrit und Hämoglobinkonzentration, sodass die Abstände zwischen den Aderlässen (Aderlassfrequenz) im Laufe der Zeit größer werden. Nur in besonderen Einzelfällen – etwa wenn der Eisenmangel zu massiven Beschwerden führt – kann unter engmaschiger ärztlicher Kontrolle eine vorsichtige orale Eisengabe erfolgen.
Erhöhte Thrombozyten durch Aderlässe
Es ist übrigens nicht ungewöhnlich, dass unter der Aderlasstherapie die Thrombozytenzahl steigt. Hierbei handelt es sich um eine normale Reaktion des Körpers, der den Blutverlust als Wunde deutet. Zur Unterstützung der Gerinnung werden deshalb vermehrt Thrombozyten produziert. Im Vergleich zum Hämatokrit gelten die Thrombozytenzahlen bei der PV zwar als nachrangiger Risikofaktor, müssen aber dennoch beobachtet werden. Da Thrombozyten über einer Million das Blutungsrisiko erhöhen können, stellen sie ein zusätzliches Kriterium für den Einstieg in eine medikamentöse Therapie dar. In der Regel erfolgt die Aderlass-Behandlung in Kombination mit der Gabe von Acetylsalicylsäure (ASS). Nur in begründeten Ausnahmefällen wird in der Behandlung der PV auf ASS verzichtet.
Unter alleiniger Aderlasstherapie wird von einem erhöhten Thromboserisiko ausgegangen, deswegen wird zur prophylaktischen Einnahme von niedrigdosiertem ASS (40 bis 100 mg/Tag) geraten.
Wie kann ich den Aderlass erleichtern?
Aderlässe können manchmal sehr schwierig sein, weil das Blut aufgrund seiner Zähflüssigkeit kaum fließt. Daher ist es empfehlenswert, vor einem Aderlass reichlich zu trinken (keinen Kaffee oder schwarzen Tee, sondern möglichst Wasser oder Kräutertee), um die Fließfähigkeit des Blutes zu verbessern. Auch nach dem Aderlass ist es sinnvoll, viel zu trinken, um den Körper zu unterstützen, das entnommene Blut möglichst schnell wieder zu ersetzen.
Manche Ärzte führen vor dem Aderlass über den bereits gelegten Venenzugang eine isotonische Lösung (mineralisiertes Wasser) zu. Dies hat den Vorteil, dass das Blut besser abfließt und der Körper insgesamt weniger belastet ist, da er dieselbe Menge (z.B. 500 ml) Flüssigkeit unmittelbar ersetzt bekommt. Diese Vorgehensweise ist insbesondere empfehlenswert, wenn während oder nach dem Aderlass Unwohlsein oder Schwindelgefühle auftreten.
Patienten, deren Venen schlecht getroffen werden und die Angst vor dem “Stochern” beim Setzen der Nadel haben, können in der Apotheke ein Pflaster oder eine Salbe zur Betäubung der Einstichstelle erwerben. Damit die Wirkung rechtzeitig einsetzt, sollten das Pflaster oder die Salbe ein bis zwei Stunden vor dem Aderlass aufgetragen werden.
Alternative zum Aderlass: Erythrozytapherese
Die Erythrozytapherese ist eine alternative Methode zum Aderlass. Im Unterschied dazu werden lediglich die roten Blutkörperchen entfernt, während alle sonstigen Blutbestandteile im Körper verbleiben. Die Abtrennung der Erythrozyten erfolgt in einem Zellseparator und dauert etwa eine Stunde. Technisch ist die Erythrozytapherese mit der Dialyse (Blutwäsche) vergleichbar, bei der ebenfalls bestimmte Substanzen aus dem Blut entfernt werden. Die Erythrozytapherese ist sicher und effektiv und beschädigt die im Körper belassenen Blutbestandteile nicht. Das Verfahren eignet sich insbesondere für Patienten, bei denen der Hämatokrit gefährlich erhöht ist. Vorteilhaft ist, dass meist wenige Sitzungen pro Jahr ausreichen. Da es sich um eine Nischentherapie für Menschen mit seltenen Erkrankungen handelt, die einen hohen apparativen Aufwand erfordert, bieten nur wenige spezialisierte Zentren die Erythrozytapherese an. Hinzu kommt, dass viele Hämatologen das Verfahren nicht kennen und aus Unkenntnis oder ökonomischen Erwägungen davon abraten.
Thrombozytenaggregationshemmer
Thrombozytenaggregationshemmer (TAH) hindern die Blutplättchen daran, miteinander zu verklumpen und setzen so die Gerinnung herab. Dies verbessert die Fließeigenschaften des Blutes. Der bei PV am häufigsten verordnete Wirkstoff dieser Art ist Acetylsalicylsäure (ASS). ASS verbessert bei vielen Patienten Mikrozirkulationsstörungen, die sich als Durchblutungsstörungen an Händen und Füßen, Schwindel, Kopfschmerzen oder Sehstörungen bemerkbar machen können. In Studien erwies sich die Einnahme von ASS als wirkungsvoll, um arteriellen Thrombosen vorzubeugen, weshalb sie grundsätzlich allen PV-Betroffenen empfohlen wird, bei denen medizinisch nichts gegen eine Einnahme spricht (keine Kontraindikationen).
Eine relative Gegenanzeige für ASS besteht immer dann, wenn Betroffene eine erhöhte Blutungsneigung zeigen oder unter Magen- und Darmgeschwüren leiden. Sehr hohe Thrombozytenzahlen von mehr als 1 bis 1,5 Mio./μl sprechen ebenfalls gegen die Einnahme von ASS. In diesen Fällen liegt eine erhöhte Blutungsneigung vor, weshalb ASS nur in begründeten Ausnahmefällen zum Einsatz kommen darf.
Einnahmeform: Tabletten, i. d. R. täglich (40-100 mg). Da jeder Mensch unterschiedlich auf ASS reagiert, gilt es, innerhalb dieser Spanne für jeden Patienten die individuell richtige Dosis zu ermitteln.
Hinweis:
In Deutschland greifen viele Menschen häufig unbedacht zu frei verkäuflichen Schmerzmitteln – darunter auch ASS, das in einer Standarddosierung von 500 mg pro Tablette erhältlich ist. Da der Wirkstoff die Blutungsneigung verstärkt, sollte die Einnahme daher unbedingt mit dem Hämatologen abgestimmt werden!
Zellreduzierende Medikamente
Eine medikamentöse Therapie zur Reduzierung der Zellzahlen (zytoreduktive Therapie) ist immer dann angezeigt, wenn Betroffene älter als 60 oder 65 Jahre sind oder es in der Vergangenheit – trotz Aderlass und ASS – bereits zu thromboembolischen Ereignissen gekommen ist. In diesen Fällen werden verschiedene Wirkstoffe eingesetzt, die sowohl mit Aderlässen als auch untereinander kombinierbar sind. Ziel der Behandlung ist es, die Blutwerte in den Normbereich zu bringen, insbesondere Hämatokrit und Thrombozyten. So kann es unter Umständen sinnvoller sein, zellreduzierende Medikamente niedrig zu dosieren und gelegentlich einen Aderlass zu machen, statt auf Aderlässe um den Preis sehr hoher Dosierungen zu verzichten. Hier gilt es, Risiken und Nebenwirkungen gegeneinander abzuwägen. Da die Blutwerte nach dem Absetzen der zellreduzierenden Medikamente unterschiedlich schnell ansteigen, ist – außer in einigen Fällen von Interferon – in der Regel eine dauerhafte Erhaltungstherapie erforderlich. Die Dosierungen der einzelnen Wirkstoffe sind individuell verschieden und können sich im Verlauf der Erkrankung ändern.
Hydroxyurea (HU)
Hydroxyurea (Handelsnamen: Litalir, Syrea, Hydrea) gilt seit Jahrzehnten als Standardtherapie in der Behandlung von MPN-Erkrankungen. Bei HU handelt es sich um ein sogenanntes Zellteilungsgift (Zytostatikum), das die Funktion des Knochenmarks einschränkt und so die Zahl der Blutzellen reduziert. HU wirkt aber nicht nur auf die Thrombozyten, sondern hemmt auch die Produktion der weißen Blutkörperchen (Leukozyten) und der roten Blutkörperchen (Erythrozyten). Nach dem Absetzen der Therapie steigen die Blutwerte in der Regel sehr schnell wieder an. Bei etwa fünf bis zehn Prozent der mit HU behandelten Patienten bleibt die gewünschte zellreduzierende Wirkung aus (Resistenz).
Einnahmeform: Tabletten beziehungsweise Kapseln (à 500 mg), i. d. R. täglich
Mögliche Nebenwirkungen der HU-Einnahme sind leichter Haarausfall und Hautveränderungen durch intensive Sonneneinstrahlung, weshalb Patienten diese meiden beziehungsweise auf einen angemessenen Sonnenschutz achten sollten. In seltenen Fällen können als Folge der HU-Einnahme Unterschenkelgeschwüre auftreten. In diesem Fall sollte das Medikament sofort abgesetzt werden. Die Geschwüre bilden sich dann in der Regel wieder zurück. Patienten mit Hautkrebsvorstufen (z. B. Aktinische Keratosen) oder bösartigen Hauttumoren (z. B. Basaliome) sollten sich regelmäßig einem Hautarzt vorstellen.
Ruxolitinib
Ruxolitinib (Handelsname Jakavi) ist ein Tyrosinkinase-Inhibitor (TKI). Im Unterschied zur Wirkstoffklasse der Zytostatika wirkt er nicht als Zellteilungsgift, sondern greift in einen Signalübertragungsweg der Zelle ein. Das Medikament hemmt die Aktivität bestimmter Enzyme (Januskinase 1 und 2), sodass diese nur noch eingeschränkt in der Lage sind, der Zelle das Signal zur Teilung zu geben. Hierdurch sinkt die Zahl der im Blut zirkulierenden Zellen und folglich auch der Hämatokrit.
Interessanterweise wirkt Ruxolitinib nicht nur bei Patienten, die positiv auf die JAK2-Mutation getestet wurden, sondern auch bei JAK2-negativen. Für PV-Patienten hat diese Tatsache allerdings nur geringe Relevanz, da 95 Prozent ohnehin Jak2-positiv sind. Neuere Studienergebnisse weisen darauf hin, dass Ruxolitinib, ähnlich wie Interferon, die sogenannte Mutationslast zurückdrängen kann. Außerdem ist der Wirkstoff in der Lage, die Milzgröße zu reduzieren und ähnlich wie HU den Hämatokrit zu regulieren. Auch die Lebensqualität bessert sich unter Ruxolitinib, da es sowohl den Juckreiz als auch die chronische Erschöpfung (Fatigue) spürbar lindert.
Ruxolitinib ist der erste einer Reihe von Wirkstoffen, der nach der Entdeckung der JAK2-Mutation im Jahre 2005 entwickelt wurde. 2012 erhielt er in Deutschland die Zulassung zur Behandlung der Primären Myelofibrose (PMF). Seit Frühjahr 2015 liegt die erweiterte Zulassung vor, die auch die Behandlung von PV-Patienten ermöglicht – allerdings nur im Rahmen der Zweitlinien-Therapie, sprich wenn PV-Patienten HU nicht vertragen oder bei ihnen die gewünschte zellreduzierende Wirkung ausbleibt.
Einnahmeform: Tabletten (à 5, 15 oder 20 mg), i. d. R. täglich
In den bisherigen Studien traten unter Ruxolitinib nur sehr wenige schwerwiegende Nebenwirkungen auf. Ob dies auf lange Sicht so bleibt, ist aufgrund geringer Langzeiterfahrungen nicht abschließend zu beantworten. Bekannt ist, dass die Werte sämtlicher Blutzellreihen (Thrombozyten, Erythrozyten, Leukozyten) abfallen. Erreichen sie ein sehr niedriges Niveau, muss die Dosierung angepasst oder die Behandlung sogar unterbrochen oder in Einzelfällen beendet werden. Dabei ist darauf zu achten, Ruxolitinib nicht abrupt abzusetzen, sondern langsam auszuschleichen. Nach dem Ende der Behandlung erreichen die Blutwerte in der Regel schnell wieder das alte Niveau.
Weitere Nebenwirkungen sind Gewichtszunahme und Verdauungsbeschwerden wie Blähungen und Verstopfung. Zudem können Infektionen auftreten wie Tuberkulose, Herpes zoster oder Entzündungen der Harnwege. Sollten sich die Symptome der PV sechs Monate nach Behandlungsbeginn nicht deutlich verbessert haben, empfiehlt der Hersteller, die Behandlung mit Jakavi zu beenden. Patienten die sich mit Jakavi behandeln lassen sollten eine mögliche Impfung gegen Herpes zoster in Erwägung ziehen und dies mit ihrem Arzt besprechen.
Interferon-alpha (INF)
Interferon (Handelsnamen: Interferon, Roferon, PegIntron (nicht mehr im Handel), Pegasys, Besremi) ist ein hormonähnlicher Botenstoff (Zytokin), dessen genaue Wirkungsweise bei PV unbekannt ist. In vielen Fällen bewirkt es eine Reduzierung der Blutzellen. Allerdings bleibt bei etwa 10 bis 20 Prozent der Patienten die gewünschte zellreduzierende Wirkung aus (Resistenz). Wenn sie jedoch eintritt, ist sie nachhaltiger als die von HU und geht zudem nach dem Absetzen langsamer verloren.
Ähnlich wie Insulin bei Diabetikern, muss auch Interferon unter die Haut gespritzt werden. Nebenwirkungen wie zum Beispiel grippeähnliche Symptome können insbesondere zu Beginn der Behandlung mit Interferon recht stark ausfallen. Doch lassen sie sich in der Regel mit einem leichten Schmerzmittel wie z.B. Paracetamol wirksam bekämpfen und gehen nach einer Gewöhnungsphase bei vielen Patienten deutlich zurück. Zu den schwerwiegenderen Nebenwirkungen von Interferon zählen neurologische und psychische Probleme (Depressionen), Gewichtsverlust sowie Leistungsschwäche und Müdigkeit. Etwa ein Drittel der Patienten muss das Medikament wegen dieser Nebenwirkungen vorzeitig absetzen. Interferon wird bereits seit vielen Jahren zur Behandlung anderer Erkrankungen eingesetzt. Langzeitnebenwirkungen wurden bisher nicht beobachtet. Ein höheres Wirkpotenzial und weniger Nebenwirkungen haben, die sogenannten pegylierten Interferone (Pegasys, Besremi). Patienten geben ihnen u.a. auch deshalb den Vorzug, weil sie aufgrund ihrer Depotwirkung nur einmal bzw. zweiwöchentlich statt mehrmals wöchentlich gespritzt werden müssen.
Von diesen Interferonen ist das neu entwickelte Ropeginterferon (Besremi) seit 2020 in Deutschland als erstes Interferon zur Therapie der PV für Patienten ohne symptomatische Milzvergrößerung zugelassen.
Einnahmeform: Fertigspritzen (subkutan, unter die Haut), täglich bis zweiwöchentlich.
Mögliche Nebenwirkungen sind grippeähnliche Symptome nach der Injektion (Fieber, Muskel- und Knochenschmerzen, Schüttelfrost, Übelkeit, Durchfall), Rötungen oder Reizungen an der Injektionsstelle, Haarausfall, Hautreaktionen, Depressionen, Gewichtsverlust, Konzentrationsstörungen und Störungen der Schilddrüsenfunktion. Ein Einschleichen der Therapie mit niedrigen, langsam ansteigenden Dosierungen kann die Nebenwirkungen deutlich mildern. Akute Grippesymptome sind zu Beginn der Therapie meist besonders stark und gehen nach einer Gewöhnungsphase merklich zurück.
Wichtig zu wissen: Obwohl die Zulassungsbehörde EMA das Medikament Besremi (Ropeg-Interferon) für den Einsatz bei Schwangeren – auf Grund fehlender Daten – ausgeschlossen hat, bleibt dennoch Interferon für PV-Patientinnen, die schwanger sind oder einen Kinderwunsch haben und eine zellreduzierende Behandlung benötigen das Mittel der Wahl und wird weiterhin in den Leitlinien der DGHO für diesen Personenkreis empfohlen. Auch für jüngere Patienten empfiehlt die aktuelle Behandlungsleitlinie den Einsatz von Interferon.
Anagrelid (AG)
Anagrelid (Handelsnamen: Xagrid, Thromboreductin, Agrelin) ist ein weiterer Arzneistoff zur Behandlung der PV, wenn erhöhte Thrombozytenwerte im Vordergrund stehen. Es verzögert die Reifung der Knochenmarksriesenzellen (Megakaryozyten) und schränkt damit die Neubildung von Thrombozyten ein, sodass ihre Anzahl im Blut sinkt. Es wirkt weitgehend plättchenspezifisch und beeinflusst nicht die Bildung anderer Blutzellen. Die Effektivität, mit der Anagrelid die Thrombozytenzahlen senkt, ist mit der von HU vergleichbar. Ebenso wie bei der Behandlung mit HU, steigen die Thrombozyten nach Absetzen der Therapie im Allgemeinen schnell wieder an. Studien haben gezeigt, dass unter der Kombination von Anagrelid und ASS die Blutungsneigung zunimmt. Aus diesem Grunde sollten Patienten – von begründeten Ausnahmefallen abgesehen – die beiden Medikamente nicht parallel einnehmen. Genau wie bei HU bleibt auch unter AG bei etwa fünf bis zehn Prozent der behandelten Patienten die gewünschte thrombozytenreduzierende Wirkung aus (Resistenz). Betroffene müssen dann auf ein anderes Medikament ausweichen.
Einnahmeform: Tabletten beziehungsweise Kapseln, i. d. R. täglich
Mögliche Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen, Durchfälle, Ödem-Bildung, Schwindel und Herzrasen. Das Nebenwirkungsrisiko sinkt deutlich, wenn der Einstieg in die Therapie langsam mit einer geringen Dosierung erfolgt, die nach und nach gesteigert wird (Einschleichen).
Wichtig zu wissen: Patienten, die unter Herzrhythmusstörungen und/oder Herzinsuffizienz leiden, sollten Anagrelid nur nach sorgfältiger kardiologischer Untersuchung und einer strengen Risiko-Nutzen-Abwägung einnehmen. Der Grund ist, dass der Wirkstoff in Einzelfällen zu schwerwiegenden Herzproblemen geführt hat. In seltenen Fällen waren hiervon auch junge Patienten ohne Vorerkrankungen am Herzen betroffen.
Die eine richtige Therapie für alle PV-Patienten gibt es nicht!
Die PV ist eine chronische Erkrankung. Betroffene müssen sich daher auf einen lebenslangen Umgang damit einstellen. Die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Therapieform sollte daher stets individuell und sehr gründlich abgewogen werden – sowohl von Seiten des Arztes als auch des Patienten.
Anpassung der Therapie bei Schwankungen
Wichtig: Schwankungen im Blutbild und/oder Befinden sind nicht ungewöhnlich und bedeuten nicht zwangsläufig ein Fortschreiten der Erkrankung. Häufig weisen sie nur darauf hin, dass die Therapie angepasst werden muss.
Gibt es noch andere Behandlungsmethoden?
Existieren neben der Schulmedizin alternative Verfahren zur Behandlung der PV? Diese Frage stellen sich viele Patienten im Laufe der Erkrankung. Das Spektrum an alternativen Heilweisen ist derart breit gefächert, dass wir auf eine umfassende Auflistung und Bewertung bewusst verzichten. Zumal es allgemeingültige Empfehlungen zu komplementärmedizinischen Verfahren, die für alle Patienten passen, naturgemäß nicht geben kann. Hier ist jeder einzelne Patient gefordert, nach individueller Neigung und Erfahrungswerten selbst zu entscheiden.
Erwähnen möchten wir an dieser Stelle jedoch, dass viele Mitglieder des mpn-netzwerks im Laufe ihrer Krankheitsgeschichte gute Erfahrungen mit Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM), Anthroposophischer Medizin und Homöopathie gemacht haben.
Neben der Wahl der komplementärmedizinischen Heilmethode spielt nicht zuletzt die fachliche Qualifikation des Therapeuten eine zentrale Rolle. Ideal sind naturheilkundlich orientierte Ärzte sowie Heilpraktiker, die über fundierte Erfahrungen in der Behandlung von PV-Patienten verfügen. Einen verantwortungsvollen Therapeuten erkennt man unter anderem daran, dass er nicht vorgibt, die PV mit alternativen Methoden heilen zu können. Realistisch ist lediglich, die Begleitsymptomatik zu verbessern und damit die Lebensqualität zu erhöhen. Aufgrund der steigenden Patientennachfrage hat die Akzeptanz alternativer Heilverfahren bei niedergelassenen Haus- und Fachärzten in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Als Folge empfehlen sie diese immer häufiger als therapiebegleitende Maßnahme.
Arzt-Patienten-Beziehung, Zweitmeinung, Das MPN-Register, Alltag, Rehabilitation
Die Beziehung zwischen Arzt und Patient
Gerade bei chronischen Erkrankungen wie der PV ist die Qualität der ärztlichen Betreuung von großer Bedeutung. Hat der Facharzt – in der Regel ein Hämatologe – die Diagnose gestellt, reicht weiterhin meist der Besuch beim Hausarzt oder Internisten, um die empfohlenen regelmäßigen Blutuntersuchungen vornehmen zu lassen. Dabei ist es hilfreich, wenn Hausarzt beziehungsweise Internist und Hämatologe eng zusammenarbeiten und sich regelmäßig austauschen. Dies ermöglicht es, zeitnah auf Veränderungen im Krankheitsbild zu reagieren und die Therapie entsprechend anzupassen. Da MPN-Erkrankungen selten sind, sollten Hämatologen ohne besondere Kenntnisse auf diesem Gebiet nach Möglichkeit einen spezialisierten Kollegen hinzuziehen.
Orientierung für Arzt und Patient: Behandlungsleitlinien der DGHO
Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) hat Behandlungsleitlinien verfasst, um den Verlauf der PV dauerhaft zu kontrollieren.
Zu den empfohlenen Untersuchungen bei der PV gehören:
- Regelmäßige Blutuntersuchung zur Kontrolle des Hämatokrits und der Thrombozytenzahl. Die Abstände können dabei - abhängig vom Erkrankungs- und Therapiestand - zwischen wenigen Tagen (z. B. bei Therapieeinstieg) und mehreren Monaten (bei stabilem Verlauf) liegen.
- Etwa vierteljährliche umfassendere Untersuchungen, um den Erkrankungsverlauf, mögliche Komplikationen und Therapienebenwirkungen im Blick zu behalten
- Etwa jährlicher Ultraschall, u.a. wegen einer möglicher Milzvergrößerung
Eine erneute Untersuchung des Knochenmarks ist nur dann notwendig, wenn sich das Befinden oder die Blutwerte des Patienten gravierend verändern, was auf ein Fortschreiten
der Erkrankung hindeuten kann. Auch eine eventuelle Jak2-Mutation muss nicht erneut
kontrolliert werden.
Die richtige ärztliche Betreuung ist bei einer chronischen Erkrankung wie der PV sehr wichtig. Nach erfolgter Diagnose durch den Facharzt (i. d. R. Hämatologe) können die regelmäßigen Blutuntersuchungen auch vom Hausarzt vorgenommen werden. Dieser sollte jedoch in jedem Fall auf Dauer mit einem spezialisierten Hämatologen zusammenarbeiten, um sich mit diesem bei Behandlungsentscheidungen, Änderungen des Krankheitsbildes oder sich andeutenden Folgeerscheinungen beraten zu können. Da die MPN-Erkrankungen selten sind, sollte sich selbst der (nicht spezialisierte) Hämatologe vor Ort nach Möglichkeit mit spezialisierten Kollegen über die Therapie beraten.
Sämtliche Empfehlungen der DGHO dienen lediglich als Orientierung. Entscheidend dafür, wie häufig bestimmte Untersuchungen stattfinden, sind immer der individuelle Erkrankungsverlauf und das Befinden des Patienten. Im Idealfall arbeiten Patient und Arzt in diesen Fragen zusammen. Ob die Kommunikation gelingt, hängt erfahrungsgemäß davon ab, wie gut das Vertrauensverhältnis zwischen behandelndem Arzt und Patient ist. Für Betroffene ist es wichtig, die Entscheidungen des Arztes nachvollziehen zu können. Insbesondere dann, wenn sich im Laufe der Zeit die Behandlungsstrategie ändert, weil erstmals Medikamente notwendig werden oder der Umstieg auf einen neuen Wirkstoff ansteht.
Vertrauen ist das A und O
Bei tiefgreifenden Unstimmigkeiten kann es deshalb durchaus sinnvoll sein, den Arzt zu wechseln – und dabei nach einem Hämatologen zu suchen, der Erfahrung mit der Behandlung von MPNs hat. Denn ein gutes Arzt-Patienten-Verhältnis ist gerade für chronisch Kranke, die über viele Jahre medizinisch betreut werden müssen, entscheidend für einen erfolgreichen Behandlungsprozess. Gerade weil die PV eine fortschreitende Erkrankung ist, die im Laufe der Zeit unterschiedliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen kann, bedarf es eines Mediziners, der nicht nur abstrakte Blutwerte, sondern den ganzen Menschen in den Blick nimmt und diesen aktiv in Entscheidungen einbezieht.
Wichtig zu wissen: Ein Arztwechsel ist immer eine Entscheidung von großer Tragweite – und sollte deshalb wohl überlegt sein. Unter Umständen kann es sinnvoll sein, zunächst auszuloten, welche anderen Wege es gibt, die Betreuung durch den angestammten Arzt fortzusetzen – zum Beispiel, indem der Patient eine Zweitmeinung bei einem ausgewiesenen Experten einholt.
Sollte ich eine Zweitmeinung einholen?
In Deutschland hat jeder Versicherte das Recht auf eine Zweitmeinung, wenn er Zweifel an den Therapievorschlägen seines behandelnden Arztes hat. Hiervon profitieren insbesondere chronisch Kranke, die dauerhaft medizinisch überwacht werden müssen. Das Recht auf eine zweite Meinung umfasst auch die Möglichkeit, seine gesamten medizinischen Unterlagen einzusehen und sich auf Wunsch Kopien aushändigen zu lassen.
Kompetente Fachärzte stimmen Zweitmeinung zu
Ein kompetenter Facharzt wird dem Wunsch des Patienten nach einer Zweitmeinung in der Regel zustimmen. Schließlich dürfte auch er an einer „Expertensicht“ interessiert sein. Allerdings zeigen die Erfahrungen von Mitgliedern des mpn-netzwerk e. V., dass ein solcher Schritt durchaus heikel sein und die Beziehung zwischen Arzt und Patient belasten kann.
Unverzichtbar: Fingerspitzengefühl
In dieser Situation ist Fingerspitzengefühl gefragt, um nicht den Eindruck zu vermitteln, der Patient traue den Behandlungsempfehlungen des Arztes nicht oder stelle gar dessen fachliche Kompetenz in Frage. Ein offenes Gespräch kann etwaige Bedenken in vielen Fällen erfolgreich ausräumen und die Expertenmeinung positiv auf den Therapieerfolg wirken. Vereinfacht hat sich diese Situation seit Einführung des MPN-Registers. Die Sinnhaftigkeit einer Aufnahme in dieses Register ist jedem Arzt gut vermittelbar und lässt sich mit dem Einholen einer Zweitmeinung verbinden.
Sehr empfehlenswert: Zweitbegutachtung der Knochenmarksprobe
Besonders wichtig kann eine Zweitmeinung mit Blick auf die Ergebnisse der Knochenmarkspunktion sein – vor allem dann, wenn das beauftragte Labor keine eindeutige Diagnose stellen konnte.
Gerade die Abgrenzung der verschiedenen MPN-Formen erfordert viel Fachwissen und
Erfahrung, über die in Deutschland nur wenige Pathologen verfügen. Adressen von spezialisierten Pathologen sind im Forum des mpn-netzwerks einsehbar.
Das MPN-Register
Myeloproliferative Neoplasien sind seltene Erkrankungen. Dies macht es schwierig, die Ergebnisse von klinischen Studien mit geringen Teilnehmerzahlen zu verallgemeinern, was sich negativ auf die Patientenversorgung auswirkt. Um die Situation zu verbessern, haben sich im Jahr 2013 mehrere auf die Behandlung von MPN-Erkrankungen spezialisierte Ärzte und Institute in Deutschland zusammengeschlossen, um eine sogenannte MPN-Registerstudie durchzuführen.
Ziel der MPN-Registerstudie ist es, in den teilnehmenden Zentren so viele MPN-Patienten wie möglich zu registrieren, krankheitsbezogene Daten anonymisiert zu erheben, auszuwerten und für die künftige Behandlung nutzbar zu machen. Ein wesentlicher Vorteil der Registerstudie besteht darin, dass auch Patienten mit Begleiterkrankungen (Komorbiditäten), palliativem Therapiekonzept oder anderen Charakteristika berücksichtigt werden können, die aufgrund von Ein- oder Ausschlusskriterien meist keine Aufnahme in klinischen Studie finden, weshalb ihre Verläufe nicht protokolliert werden.
Die aus den Daten gewonnenen Erkenntnisse dienen unter anderem dazu, neue Diagnoseverfahren oder Medikamente zu entwickeln, die die Behandlungsmöglichkeiten und damit auch die Prognose verbessern.
Der offizielle Name des MPN-Registers lautet Deutsches MPN-Register und Biomaterialbank für BCR-ABL1-negative myeloische Neoplasien. Leiter der Studie sind unter anderem Prof. Dr. med. Steffen Koschmieder, RWTH Uniklinik Aachen, Prof. Dr. med. Konstanze Döhner, Universitätsklinikum Ulm, und Prof. Dr. med. Martin Grießhammer, Johannes Wesling Klinikum Minden.
Für Patienten ist die Teilnahme an der MPN-Registerstudie mit einem direkten individuellen Nutzen verbunden, da ihr Therapieverlauf durch die regelmäßige Dokumentation von ausgewiesenen Experten begleitet wird. Darüber hinaus steht die MPN-Studienzentrale den beteiligten Zentren und Ärzten beratend zur Seite. Durch den kontinuierlichen wissenschaftlichen Austausch der beteiligten Akteure auf Kongressen und Fortbildungen profitieren die MPN-Patienten überdies von einer Bündelung der Expertise. Zudem erhöht sich durch die Auswertung der erhobenen Daten das medizinische Wissen, was der Allgemeinheit zu Gute kommt.
Weiterführende Informationen auf: www.sal-aml.org/register/mpn-register
Verändert sich mein Leben durch die PV?
Ganz gleich, ob die Diagnose Polycythaemia vera oder Myeloproliferative Neoplasie lautet: Zu erfahren, dass man an einer chronischen Erkrankung leidet, ist für die meisten Patienten ein Schock. Plötzlich tritt etwas Schicksalhaftes ins Leben, dass mit dem eigenen Willen und Handeln nicht mehr beeinflussbar scheint und Unsicherheit und Ängste auslöst.
Wer die Krankheit akzeptiert, lebt zufriedener
Häufig besteht zunächst das Bedürfnis, eine Erklärung für die Krankheit zu finden. Patienten beginnen ihr Leben zu durchleuchten und nach besonders belastenden Situationen oder Ereignissen zu suchen, die als Auslöser der PV in Frage kommen. So verständlich die Suche nach möglichen Ursachen auch ist, so unergiebig wird sie in den meisten Fällen sein. Sehr viel sinnvoller ist es, die Krankheit zu akzeptieren und sich auf die Gegenwart und Zukunft zu konzentrieren.
Wen einweihen?
Nicht nur der Betroffene muss lernen, mit der neuen Situation umzugehen, sondern auch das Umfeld. Dies wirft die Frage auf, wen man einweihen möchte und wen nicht: Nur den Partner oder auch die eigenen Kinder und die Eltern? Meist hängt dies von der jeweiligen Familiensituation ab. Andere Betroffene wiederum ziehen es vor, erst einmal Stillschweigen über die Diagnose zu bewahren.
Reden über die Krankheit hilft
Leider gibt es auch in dieser Frage keine allgemeingültigen Empfehlungen. Doch weiß man aus der psychotherapeutischen Arbeit mit Krebspatienten (Psychoonkologie), dass es hilfreich ist, die Diagnose und die damit verbundenen Gefühle und Ängste zu thematisieren – auch wenn dies zu Beginn weder für den Patienten noch für Familienangehörige, Freunde oder Kollegen einfach ist. Dennoch hat der offene Umgang mit der Erkrankung viele Vorteile, etwa den, die neue Situation aktiv verarbeiten zu können. Dies bedeutet auch, den Arbeitgeber zu informieren, damit Vorgesetzte und Kollegen etwaige Fehlzeiten richtig einordnen können.
Selbsthilfegruppen leisten wichtige Unterstützung
In diesem Prozess kann die Mitgliedschaft in einer Selbsthilfegruppe wie dem mpn-netzwerk e. V. eine große Unterstützung sein. Dieses bietet Patienten und Angehörigen die Möglichkeit, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen, Fragen zu stellen und wertvolle Tipps zum Umgang mit der Krankheit zu erhalten. Für manche Betroffene kann es außerdem hilfreich sein, professionelle Unterstützung durch einen Psychotherapeuten in Anspruch zu nehmen.
Schwankende Blutwerte sind normal
Überdies sollte man sich nicht von schwankenden Blutwerten verunsichern lassen. Diese können im Verlauf der Erkrankung erheblich variieren und sind zudem nicht selten abhängig von der „Tagesform“. Schwankungen deuten dabei nicht zwangsläufig auf ein Fortschreiten der Erkrankung hin.
Äußerst hilfreich: Dokumentation der Blutwerte
Viele Mitglieder des mpn-netzwerk e. V. machen die Erfahrung, dass es nützlich ist, die Ergebnisse der Blutuntersuchungen in einer Tabelle zu sammeln. Damit lassen sich langfristige Veränderungen der Blutwerte einfacher überblicken. Zugleich erleichert die Dokumentation eine umfassende Einschätzung des Krankheitsverlaufes, etwa wenn der Patient einen Arztwechsel plant oder eine Zweitmeinung einholen möchte.
Manche Hämatologen bieten ihren Patienten einen „Therapieausweis“ an, in den die Blutwerte und auch die Medikation eingetragen werden können. Andere Betroffene haben sich hierfür selbst eine Tabelle angelegt.
Rehabilitation
Während manche Patienten sich trotz ihrer Erkrankung voll arbeitsfähig fühlen und kaum Fehlzeiten aufweisen, sind andere bereits mit massiven Auswirkungen der PV konfrontiert, sodass eine häufige Krankschreibung die Regel ist. Ist die Arbeitsfähigkeit massiv beeinträchtigt, können Patienten eine Rehamaßnahme („Kur“) beantragen. Bestehen dauerhaft schwerwiegende Symptome, empfiehlt es sich, einen Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung beim zuständigen Versorgungsamt zu stellen.
Milzvergrößerung, Juckreiz, Thrombose, Schlaganfall, Operationen
Warum ist bei manchen Betroffenen die Milz vergrößert?
Eine Milzvergrößerung (Splenomegalie) kommt bei ca. 75 % der PV-Betroffenen vor, da die Milz den erkrankungsbedingt größeren Umsatz an Blutzellen bewältigen muss und in einzelnen Fällen selbst einen Teil der Blutbildung übernimmt (extramedulläre Blutbildung, d. h. Blutbildung außerhalb des Knochenmarks). In vielen Fällen macht die Vergrößerung der Milz keinerlei Probleme und bleibt über lange Zeit stabil.
Schmerzen und Druck auf andere Organe
In einigen Fällen (insbesondere beim Übergang in eine sekundäre Myelofibrose) kann die Milz jedoch so stark anwachsen, dass sie Druck auf andere Organe ausübt und Schmerzen verursachen kann. Daher sollte man die Entwicklung der Milz möglichst frühzeitig in die Entscheidung über die Therapie miteinbeziehen, um ggf. rechtzeitig ein weiteres Wachstum zu verhindern oder auch eine Verkleinerung erreichen zu können (z. B. durch die Behandlung mit HU, Ruxolitinib oder Interferon).
Experten uneins über Milzbehandlung
Über die Behandlung einer stark vergrößerten Milz besteht auch bei den Medizinern Unsicherheit. Früher wurde gelegentlich bestrahlt. Bestrahlungen werden heute jedoch nur noch selten vorgenommen. Auch eine operative Entfernung der Milz (Splenektomie) wird nur in sehr seltenen Fällen in Betracht gezogen. Ein solcher Eingriff wird in der Regel erst überlegt, wenn die Milz sehr stark vergrößert ist, Probleme verursacht oder ein Milzinfarkt unmittelbar droht oder bereits stattgefunden hat.
Was kann ich gegen den Juckreiz tun?
Juckreiz (Pruritus) ist für viele Patienten ein quälendes Symptom, das die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen kann. Die Ursachen sind unklar, weshalb noch keine Standardtherapie zur Verfügung steht. Lässt sich der Hämatokrit – und damit der Juckreiz – nicht durch Aderlässe normalisieren, sollte eine Behandlung mit zellreduzierenden Medikamenten wie Interferon, HU oder Ruxolitinib erfolgen.
Patienten, die gegen den Juckreiz Antihistaminika eingenommen haben, berichten, dass der gewünschte Erfolg häufig ausblieb.
Tipps zur Linderung des Juckreizes
- Tritt der Juckreiz ausschließlich nach dem Baden oder Duschen auf, helfen möglicherweise Wechselduschen kombiniert mit anschließendem Einreiben der noch feuchten Haut mit Öl oder Körperlotion.
- Einigen Betroffenen hilft der Besuch eines Sonnenstudios, nachdem sie beobachtet haben, dass der Juckreiz im Sommer – vermutlich durch den Einfluss des Sonnenlichts (UV-Strahlung) – milder ausfällt als im Winter.
- Im Winter empfiehlt es sich, die Kleidung zunächst auf der Heizung anzuwärmen, und erst dann anzuziehen.
Photochemotherapie
Bei der Photochemotherapie (PUVA, Psoralen + UV-A) wird die Lichtempfindlichkeit der Haut mit einer speziellen Substanz (meist Psoralen) gezielt erhöht, um sie anschließend einer UV-A-Lichtquelle (Blacklight) auszusetzen. Die PUVA dient hauptsächlich zur Behandlung von Psoriasis (Schuppenflechte), soll aber auch den Juckreiz bei PV lindern.
Tipps von Betroffenen aus dem MPN-Netzwerk zur Linderung des Juckreizes:
- Wenn der Juckreiz nur nach dem Baden oder Duschen auftritt:
- Wechselduschen; anschließendes Einreiben der noch feuchten Haut mit Öl oder Körperlotion
- Viele Betroffene berichten, dass der Juckreiz im Sommer bzw. durch Sonnenbestrahlung (UV) weniger stark ist als im Winter. Einigen hilft auch der Besuch eines Sonnenstudios.
- Im Winter: Ein Anwärmen der Kleidung vor dem Anziehen (z.B. auf der Heizung)
Wie äußert sich eine Thrombose?
Leider werden insbesondere die gefährlicheren Thrombosen in den tiefen Beinvenen in etwa einem Drittel aller Fälle gar nicht bemerkt. Trotzdem gibt es typische Symptome, die man ernst nehmen sollte:
Symptome einer tiefen Venenthrombose:
- Schwellung, Wärme- und Schweregefühl im betroffenen Körperteil,
- gerötete und gespannte ggf. glänzende Haut, eventuell Blaufärbung,
- Spannungsgefühl und muskelkaterartige Schmerzen in Fuß, Wade und Kniekehle, die bei Hochlagerung nachlassen,
- evtl. Fieber.
Im Gegensatz zu den tiefen Venenthrombosen sind oberflächliche Thrombosen (Venenentzündungen z. B. durch Krampfadern) harmlos, weil hier nicht die Gefahr besteht, dass ein Blutpfropf in die Blutbahn gelangen kann. Sie zeigen in der Regel typische Symptome eines entzündlichen Prozesses.
Symptome einer oberflächlichen Venenthrombose:
- Rötung über der betroffenen Vene und meist auch flächig im umliegenden Areal,
- Schwellung und Ausbildung eines harten Stranges im Verlauf der Vene,
- Schmerzen, die beim Betasten meist deutlich zunehmen,
- Wärme- oder Hitzegefühl.
Zu unterscheiden ist die oberflächliche von der tiefen Venenthrombose dadurch, dass sie unmittelbar sichtbar ist, lokal schmerzt und der Schmerz bei Druck stärker wird.
Trotzdem sollte man in beiden Fällen im Zweifel zur Abklärung zum Arzt gehen.
Wie äußert sich eine TIA oder ein Schlaganfall?
Eine transitorische ischämische Attacke (TIA) ist eine vorübergehende Durchblutungsstörung des Gehirns. Vorübergehend heißt, dass die Symptome nicht länger als 24 Stunden anhalten.
Typische Symptome einer TIA sind:
- Sehstörungen
- Sprachstörungen
- (halbseitige) Lähmungserscheinungen
- Schwindel
- Gangunsicherheit
Da ein Schlaganfall im Akutfall nicht von einer TIA zu unterscheiden ist und TIAs zudem häufig im Vorfeld eines „richtigen“ Schlaganfalls auftreten, ist bei diesen Symptomen besondere Vorsicht angeraten.
Wichtig: Bei stärkeren oder anhaltenden Symptomen sollte man möglichst direkt in ein Krankenhaus mit einer Schlaganfall-Akutstation (Stroke Unit) fahren, weil dort im Zweifel die besten Behandlungsmöglichkeiten bestehen, um bleibenden Schäden vorzubeugen bzw. entgegenzuwirken.
Was ist vor einer anstehenden Operation zu beachten?
MPN-Erkrankungen bedeuten kein generelles Risiko für einen operativen Eingriff. Wichtig ist eine gute Einstellung der Blutwerte (HKT und Thrombozytenzahl) vor der Operation, da sonst ein erhöhtes Operationsrisiko bestehen kann. Außerdem sollten in jedem Fall der operierende Arzt und der Narkosearzt im Vorfeld über die Erkrankung informiert und das konkrete Vorgehen im Einzelfall mit dem betreuenden Hämatologen abgestimmt werden.
ASS sollte mindestens 7 Tage vor dem Eingriff abgesetzt werden, da es die Blutgerinnung hemmt bzw. die Blutungsneigung erhöht und diese Wirkung erst mehrere Tage nach der Einnahme vollständig abklingt. Nach Absprache mit dem Hämatologen wird die Aspirin-Therapie eventuell vorübergehend durch ein anderes Medikament ersetzt (z. B. Heparin).
Verhütung, Schwangerschaft, Wechseljahre
Darf ich trotz PV die "Pille" nehmen?
Die Einnahme der "Pille" erhöht - auch bei gesunden Patientinnen - das Thromboserisiko. Dies gilt besonders für Raucherinnen. Durch das zusätzliche MPN-bedingte Risiko ist es daher grundsätzlich empfehlenswert, nach Möglichkeit auf andere Verhütungsmethoden auszuweichen. Wenn dies nicht möglich oder vorstellbar ist, sollte der Einzelfall mit dem Hämatologen und Gynäkologen abgesprochen werden.
Was bedeutet die PV für Schwangerschaft und Kinderwunsch?
siehe Häufig gestellte Fragen zu MPN und Schwangerschaft
Darf ich in den Wechseljahren eine Hormontherapie machen?
Eine Hormonbehandlung in den Wechseljahren (Menopause) kann ebenso wie die "Pille" Einfluss auf das Thromboserisiko haben und sollte daher im Einzelfall mit dem Hämatologen und dem Gynäkologen beraten werden.
Sauna, Flugreisen
Darf ich mit PV in die Sauna gehen?
Ein Saunabesuch ist nicht ausgeschlossen. Wichtig ist, vor und nach dem Saunabesuch viel zu trinken (keinen Kaffee, schwarzen Tee oder Alkohol, sondern Wasser) und beim Saunen selbst auf das eigene Befinden zu achten und ggf. kürzer oder nicht zu heiß zu saunen.
Darf ich mit einer MPN-Erkrankung fliegen?
Das Fliegen (insbesondere Langstreckenflüge mit permanentem Sitzen) ist ein zusätzlicher Risikofaktor für Thrombosen. Daher sollte man in dieser Situation auf jeden Fall Vorsorge betreiben durch ausreichendes Trinken, die Wahl eines Gangplatzes und möglichst viel Bewegung. Einige Ärzte raten auch dazu, vor Langstreckenflügen Heparin zu spritzen.