Polycythaemia vera (PV)

Jakob, *1968, PV seit 2009

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Beitrag vom

Im Winter 2008/09 hatten sich bei mir Schmerzen im großen Zeh zunächst in eine Wunde und anschließend in eine Nekrose entwickelt. Zu diesem Zeitpunkt bin ich werktäglich jeden Morgen 3 km geschwommen und danach 25 km zur Arbeit geradelt – daneben bin ich auch noch gelaufen oder am Wochenende 10 und mehr km geschwommen. Da sich mein Hausarzt nur mit der Symptombehandlung beschäftigte bin ich zum Angiologen (Gefäßspezialisten) gegangen, weil der Fuß auch recht kühl war. Dazu muss ich erwähnen, dass ich schon seit den 90er-Jahren mit dem Raynaud-Syndrom zu tun habe (plötzliche nicht-Durchblutung von Extremitäten).

Überweisung zum Hämatologen

Mittels NMR (Kernspin-Untersuchung) wurde für Angiologen ersichtlich, dass ich schon vor sehr langer Zeit eine Thrombose gehabt haben muss, die sich womöglich wg. meiner sportlichen Aktivität nicht bemerkbar gemacht hatte. Weil er ansonsten auch nicht weiter wusste – vermutlich aber den richtigen Verdacht hatte – hat er mich zum Hämatologen geschickt. Nach einer Blutuntersuchung und einer KMP (Knochenmarkpunktion) war’s dann klar: JAK2+/PV. Der Doc hat mir das eher beiläufig und nebenher erzählt, was ich bemerkenswert finde, da es für mich natürlich alles andere als eine beiläufige Tatsache war (und ist). Dass mir mit der Diagnose nun mit Symptome drohten, die man bei dem o.g. Lebenswandel nicht erwarten würde, dass die vielfach zu lesenden Angaben zur statistischen Lebenserwartung eine enorme Bedeutung bekamen sind nur zwei der Dinge die mir anfangs den Boden unter den Füssen weggezogen haben…

Die Erkrankung verstehen wollen

Als Physiker wollte ich – nach dem ersten Schock – so viel wie möglich über das wissen und verstehen, was man PV nennt. Heute denke ich, dass die Beschäftigung mit zugehöriger Biochemie & Co mir geholfen hat, mit der Erkrankung umzugehen. Bei seltenen Erkrankungen kommt man sehr schnell in die Situation, mehr über aktuelle Forschungsergebnisse zu wissen als ein niedergelassener Hämatologe. Deswegen bin ich sehr bald neben meinem „Alltags-Häm“ auch zu einem der Experten für MPN-Erkrankungen gegangen.
Auf Anraten meines TCM–Arztes, zu dem ich seit 2 Monaten nach meiner Diagnose gehe, habe ich meinen Sportkonsum sehr reduziert – bis jetzt hat dies allerdings höchstens meiner männlichen Eitelkeit geschadet. 😀

Ursache des Tinnitus unklar

2009/2010 hat sich bei mir ein Tinnitus eingestellt. Genauso wie bei Sehstörungen sah mein „Alltags-Häm“ wenig Zusammenhang mit der PV. „Mein“ MPD-Experte schließt einen möglichen Zusammenhang zumindest nicht aus, sodass wir die weitere Entwicklung genauer beobachten und versuchen, zu Therapieren. Zum Glück beeinträchtigt mich der Tinnitus bislang (noch?) nicht massiv.

Folgen der Erkrankung halten sich bisher im Rahmen

Aktuell lebe ich eigentlich gut mit der PV. Die Hoffnung, dass es noch zu meinen Lebzeiten Medikamente geben wird, die die Krankheit ohne Nebenwirkungen in Schach halten oder womöglich heilen, ist schön – aber ich verlasse mich nicht darauf. „On a long enough timeline, the survival rate of anyone drops to zero“ ist ein Satz, der mir nach der Diagnose oft durch den Kopf ging. Noch sind die Folgen der Krankheit bei mir so, dass ich gelassen damit umgehen kann. Letztlich ist dies eine Gelassenheit dem Tod gegenüber.

Stand: Juli 2013



(neuer Stand: Juni 2018)

Wie ging es weiter?

In den letzten 5 Jahren hat sich meine PV kaum geändert, mein Umgang damit schon. Die Diagnose ist jetzt fast 10 Jahre her.

Flexibler Umgang mit der Gabe von ASS und mit Aderlässen

Trotz ASS100 protect bekam ich Magenprobleme. Säureblocker (zur Vermeidung der Magenprobleme) könnten bei mir evtl. dafür verantwortlich sein, dass meine Knochendichte laut Auskunft operierender Chirurgen auffällig ist. Deshalb nehme ich jetzt nur 50mg ASS täglich. ASS-Alternativen sind bei mir wirkungsfrei. Der große Zeh, an dem ich damals die Nekrose hatte, die zur PV-Diagnose führte, scheint bei mir ein guter Indikator für ASS-Bedarf zu sein. Fängt er zu pochen an, nehme ich ASS. Da mich auch Fachärzte darin bestärkt haben, dem Zeh zu vertrauen, gehe ich flexibler mit ASS-Menge und Einnahme um, unterschreite aber nie 50 mg/tägl.
Mein letzter Aderlass ist fast 5 Jahre her. Mir geht es gut damit und nach Rücksprache mit Fachärzten ist ein Hämatokrit (HKT) > 45 bei mir kein strenges Aderlasskriterium, d. h. ich habe auch mit einem HKT von 46+ Kontrolltermine ohne Aderlass verlassen. Meine JAK2-Allellast ist relativ gering. Ich mache viel Ausdauersport (inzwischen bin ich bei der 2ten Schwimmbad-Jahresdauerkarte). Den regelmäßigen Aderlass halte ich für einen unnatürlichen Eingriff in ein eh schon gestörtes System (der Blutbildung). Daher denke ich für mich: wenn er notwendig ist, ist er notwendig, aber es ist auch schön, wenn man darauf verzichten kann.

Thrombos, Hämatokrit und Milz

Mein Normalbereich bei den Thrombos liegt inzwischen bei 1-1.5 Mio. Diese Erhöhung ist die stärkste messbare Veränderung der letzten Jahre, die ich aber nur anhand der Kontrolle der Blutwerte bemerke. Mein HKT liegt davon unbeeindruckt bei 43-46, aber meist unter 45. Erst vor zwei Tagen war ich bei Prof. Grießhammer, auch meine Milz ist konstant leicht zu groß bei ca. 13 cm.

Weitere Mutation festgestellt

Vor 2 Jahren wurde bei mir eine weitere Mutation festgestellt – durch bessere Analytik werden ja immer mehr Mutationen erkannt und gemessen. Da hier naturgemäß die Statistik noch zu wenig Daten hat, beunruhigt mich die aktuell damit einhergehende „tendenziell schlechtere Prognose“ eher nicht.

Arztwechsel

Bedingt durch einen Umzug, gehe ich seit 4 Jahren nicht mehr zu einem TCM-Arzt (Traditionelle Chinesische Medizin) und habe von Prof. Petrides zu Prof. Grießhammer gewechselt. Er ist inzwischen auch der einzige Hämatologe, der mich vierteljährlich sieht. Vielleicht sind meine Ansprüche gewachsen, vielleicht war ich vom alten Wohnort verwöhnt, aber die ortsansässigen Hämatologen waren mir zu wenig kompetent, mit zu wenig Aussicht auf Lernbereitschaft. Nach Standard, z.B. Aderlass bei HKT > 45, könnte ich mich auch selber behandeln. Mir ist wichtig, dass ich meine Gedanken, Bedenken zu derlei Themen äußern kann und dass dies nicht ohne Wirkung bleibt. Und vermutlich braucht es dann Hämatologen mit genügend Erfahrung mit den MPNs, um von einem Standard auch mal begründet abzuweichen.

Stand: Juni 2018



(neuer Stand: Juli 2023)

Wie ging es weiter? 2. Fortsetzung Jakob

Vieles ist gleichgeblieben

Nach wie vor benötige ich keine Aderlässe. Von Prof. Grießhammer kommt die Vermutung, dass es
sich in meinem Fall um eine Mischform PV/ET handelt, was den Bedarf an Aderlässen = 0 erklärt. Und
auch die Tatsache, dass ich mit 700-, 800 Tausend Thrombozyten bisweilen einen Hämatokrit < 40
habe.


Ich mache immer noch regelmäßig Sport, wenn möglich täglich. Inzwischen im Wechsel zwischen
Cardio und Kraft.
Letzteres ist neu und auch durch mein Alter und den altersbedingten Muskelschwund motiviert. Und
auch ein wenig Eitelkeit gepaart mit der Frustration, wie wenig man mir vor 15 Jahren meine
wöchentlichen 30+ km Schwimmen angesehen hat.
Cardio heißt meist unser Ellipsentrainer. Die entscheidenden Vorteile sind: ich kann Musik über
Lautsprecher hören, ich habe niemanden der stört oder auf den ich aufpassen muss, weil er in
meiner Bahn schwimmt, die Verletzungsgefahr ist im Vergleich zum Mountain/Fatbiken sehr minimal
und v.a. ist man gleich zu Hause, wenn man keinen Bock mehr hat.

Thrombozyten, Hämatokrit und Milz

Meine Thrombozyten sind im Vergleich zu vor 5 Jahren nicht mehr so hoch, eher im Bereich 600-800
Tausend. Auch die HKT-Werte und meine Milzgröße haben sich erfreulich entwickelt. Erstere sind oft
< 40, letztere ist in der Größe unverändert geblieben. Der letzte Besuch bei Prof Grießhammer
inklusive Milzvermessung war 03/2023. Dabei war ich ob Prof. Grießhammer’s Bemerkung, dass
meine Bauchvenen und -arterien laut Ultraschall so frisch aussehen wie bei einem Sportler und
Nichtraucher zu erwarten wäre, besonders erfreut und belustigt – ich rauche, mehr oder weniger, seit
ich 16 bin und mit sowas wie Sport habe ich erst 10 Jahre später angefangen.

Neue Entwicklungen

Ich bin gerade dabei zu lernen, inwieweit der LDH ein guter Indikator dafür ist, wie es mir tatsächlich
geht. Denn wie bis hierher berichtet müsste es mir allein anhand der üblichen Blutwerte blendend
gehen. Aber insbesondere nach einem psychogenen Anfall (mein zweites Hauptleiden, Diagnose seit
2014) fühle ich mich z.T. wochenlang niedergeschlagen, kraftlos und habe ein pseudo-demenzielles
Kurzzeitgedächtnis. Hier konnte ich beim letzten Anfall feststellen, wie der LDH dann nach oben ging.
Wie beides, PV/ET und psychogener Anfall, da wechselwirken ist mangels Statistik unerforscht – ich
kennen keine/n, die von beidem betroffen sind – und man kann nur spekulieren. Beide
Krankheitsbilder sind auch von ähnlichen Symptomen wie Schwindel, Flimmersehen,
Missempfindungen & Co. begleitet. D.h. ich kann im Fall des Falles nie mit gutem Gefühl den
Schuldigen benennen.

THC-Therapie

Seit 11/2021 habe ich mit der Einnahme von THC/Cannabis begonnen. Damit verfolge ich die
folgenden Ziele:

  1. Schmerzlinderung, z.B. bei Durchblutungsschmerzen
  2. Verringerung Anfallshäufigkeit
  3. Linderung Ein- und Durchschlafprobleme
    Meine Schmerzen sind zwar geringer, aber wenn meine Durchblutungsschmerzen voll zuschlagen
    (Fußsohlen on fire) hilft nach wie vor nur Tilidin.
    Die Anfälle sind zwar ca. von einem alle 2 Monate auf einen alle 3 Monate gesunken, aber ich hatte
    mehr erhofft.
    Ohne irgendwelche Probleme zu wälzen, lag ich früher lange wach und bin mehrmals pro Nacht
    aufgewacht, jeweils wieder mit einer langen Wachzeit bis zum Einschlafen. Mit THC ist die
    Aufwachhäufigkeit gefühlt nicht notwendigerweise gesunken (ich protokolliere derlei bewusst nicht),
    aber nach dem Aufwachen genügen 2-3 Züge, um sofort wieder einzuschlafen. Nicht mehr
    schlafwandelnd und mit einem eigentlich nicht vorhandenen Kurzzeitgedächtnis durch die Gegend
    laufen zu müssen, ist aus heutiger Sicht der größte Erfolg der THC-Therapie. Dabei ist es egal, ob diese
    Beeinträchtigungen nur am schlechten Schlaf liegen bzw. gelegen haben oder schon das sind, was wir
    auch als Fatigue kennen.