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Was ist eine Primäre Myelofibrose (PMF) und wie häufig tritt sie auf?

Die Primäre Myelofibrose (PMF) gehört zu den seltenen, chronischen Myeloproliferativen Neoplasien (MPN), einer Erkrankung des Knochenmarks.

Während in den frühen (präfibroitschen) Phasen der Myelofibrose eine Überproduktion von Zellen vorliegt, führt im Verlauf eine zunehmende Fibrosierung (Verfaserung) des Knochenmarks (s. Kasten unten) zu einer deutlichen Einschränkung der Blutbildung, die im fortgeschrittenen Stadium ganz zum Erliegen kommen kann. Sie wird im Verlauf der Erkrankung zunehmend in andere Organe wie Milz und Leber verlagert. Diese Organe sind dadurch häufig vergrößert.

Wie kommt es zur Fibrosierung des Knochenmarks?

Myelofibrose: das Knochenmark betreffend (lat. myelo) / Verfaserung (lat. Fibrose)

Bei der Myelofibrose (MF) werden zu viele Blutzellen im Knochenmark produziert und damit auch zu viele Zytokine (Botenstoffe). Diese stimulieren die Fibroblasten, Zellen, die Bindegewebe produzieren, was zu einer zunehmenden Fibrosierung (Verfaserung) führt.

Primäre Myelofibrose. Knochenmarkhistologie: Starke Faservermehrung, links unterhalb der Mitte Megakaryozytencluster (Versilberung).
Bildquelle T. Haferlach

Häufigkeit

Pro Jahr erkranken in Deutschland nach Schätzungen 0,5 – 1,5 von 100.000 Menschen an PMF, das sind hochgerechnet ca. 1000 Neuerkrankungen. Die Erkrankung tritt im Schnitt im Alter von 65 Jahren auf und kommt bei Männern etwas häufiger vor als bei Frauen. Etwa 11 % der Betroffenen sind jedoch keine 46 Jahre alt. Ob die Zunahme der Erkrankungszahlen bei Jüngeren aus der verbesserten Diagnostik resultiert oder die PMF tatsächlich häufiger auftritt als früher, ist nicht eindeutig geklärt.

Da die PMF zu den sogenannten seltenen Erkrankungen (engl. orphan disease) gehört, kennen viele niedergelassene Ärzte die Erkrankung nicht. Selbst Fachärztinnen für Bluterkrankungen (Hämatologen) betreuen häufig nur sehr wenige Patientinnen. Daher ist die Vorstellung an spezialisierten Zentren z.B. im Rahmen einer Zweitmeinung sinnvoll und angeraten.

Die PMF kann als eigenständige Erkrankung auftreten, sich aus einer präfibrotischen Primären Myelofibrose (präPMF) entwickeln oder in Folge einer anderen MPN-Erkrankung wie zum Beispiel der Essentiellen Thrombozythämie oder der Polycythaemia vera auftreten. In diesen Fällen wird sie als sekundäre Myelofibrose oder Post-ET- bzw. Post-PV-Myelofibrose bezeichnet.

Die in der Vergangenheit gebräuchlichen Bezeichnungen Chronische Myeloproliferative Erkrankungen (CMPE), Osteomyelofibrose (OMF) und Chronische Idiopathische Myelofibrose (CIMF), werden bisweilen auch heute noch verwendet.

Zählt eine PMF zu den Krebserkrankungen?

Die PMF gehört gemäß der WHO-Klassifikation 2017 zu den sogenannten BCR-ABL1-negativen myeloproliferativen Neoplasien, einer Gruppe von selbstständig wachsenden, also bösartigen Erkrankungen, chronischer Blutkrebs.

Die PMF ist keine Leukämie, aber eine den Leukämien verwandte Erkrankung. Eine Besonderheit der PMF ist, dass sowohl gesunde als auch krankhaft veränderte Stammzellen mit ihren jeweiligen Nachkommen lange Zeit nebeneinander existieren können. Die PMF birgt ein erhöhtes Risiko, in eine Akute Myeloische Leukämie (AML) überzugehen.

Sekundäre Myelofibrose (sMF)

Eine Myelofibrose kann auch sekundär entstehen, wenn die Knochenmarkfibrosierung auf eine Essentielle Thrombozythämie (ET) oder eine Polycythaemia vera (PV) folgt. Die Erkrankung ist dann keine Primäre Myelofibrose (PMF), sondern eine sekundäre oder Post-Essentielle Thrombozythämie-Myelofibrose (Post-ET-MF) bzw. eine Post-Polycythaemia Vera-Myelofibrose (Post-PV-MF).

Für diese Diagnose sind erforderlich:

  • die Dokumentation der vorausgegangenen ET bzw. PV
  • der Nachweis einer Knochenmarkfibrose Grad 2 bis 3 (auf einer Skala von 0 bis 3) oder Grad 3 bis 4 (auf einer Skala 0 bis 4)

und zusätzlich zumindest zwei der folgenden Kriterien:

  • Anämie oder
    nicht mehr erforderliche Aderlasstherapie (ohne eine zellreduzierende Therapie) oder
    nicht mehr erforderliche zellreduzierende Therapie zur Reduktion der roten Blutkörperchen
  • Leukoerythroblastisches Blutbild (d.h. im Differentialblutbild finden sich kernhaltige Vorläuferzellen der Leukozyten und Erythrozyten, sogenannte Blasten)
  • Zunehmende Milzvergrößerung
  • Erhöhung von LDH im Serum
  • Entwicklung von 2 oder allen 3 der folgenden Symptome:
    • über 10% Gewichtsverlust in 6 Monaten
    • Nachtschweiß
    • Fieber ungeklärter Ursache (über 37,5 Grad Celsius)

Prognose und Behandlung

Im Knochenmark selbst kann die sekundäre Form der Myelofibrose nicht von einer primären Myelofibrose unterschieden werden.
Die Unterscheidung ist dennoch von Bedeutung, da die sekundäre Myelofibrose im Verlauf anders einzuschätzen ist als die primäre Form. Nach bisherigen Erkenntnissen zeigt die sekundäre Myelofibrose insgesamt einen leicht günstigeren Verlauf.

Für die sekundäre Myelofibrose wurde ein eigener Prognose-Score entwickelt (s. untenstehende Tabelle).
Im Gegensatz zu den Risiko-Scores, welche bei der zur PMF ihren Einsatz finden (z.B. DIPSSplus, MIPSS70plus2.0), wird im MYSEC ein höherer Prozentsatz von Blasten toleriert . Die Leukozytenzahlen gehen nicht in den Score ein. Dadurch kommt man nicht so schnell in die zwei höchsten Risikogruppen.
Die Therapiemöglichkeiten und -schemata entsprechen der PMF.

Was sind die Ursachen der PMF?

Die genauen Ursachen der PMF sind bisher nicht bekannt. Man geht davon aus, dass die Erkrankung im Laufe des Lebens durch erworbene (sogenannte somatische) Mutationen in blutbildenden (hämatopoetischen) Stammzellen hervorgerufen wird. Diese Genveränderungen führen zu Funktionsstörungen bei den in Frage stehenden Stammzellen. Die häufigste Mutation ist die JAK2 V617F-Genmutation.

JAK2-Genmutation

CALRETICULIN

MPL

Triple negative

In der Regel schließen sich diese Treibermutationen innerhalb einer Zelle gegenseitig aus, so dass nur eine davon vorliegt. In seltenen Fällen gibt es jedoch den Fall, bei dem 2 verschiedene Mutationen in unterschiedlichen Zellen existieren (bi-klonale Erkrankung).

Erforschung weiterer Mutationen

Ist PMF vererbbar?

Nach dem jetzigen Stand der Forschung sind die MPN, also auch die PMF, in der Regel keine genetisch vererbten Krankheiten. In extrem seltenen Einzelfällen waren jedoch Keimbahnmutationen z.B. des JAK2-Gens beschrieben worden, so dass eine Vererbung stattfand. Darüber hinaus können familiäre Dispositionen für die Entstehung von MPN auftreten. Bei familiären Häufungen von MPN über mehrere (mindestens drei) Generationen wird gemäß der Leitlinien der der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) eine humangenetische Beratung empfohlen.

Welche Symptome können auf eine PMF hindeuten?

Die Erkrankung beginnt meist schleichend. Hinweisende Symptome können Fieber, Nachtschweiß und Gewichtsverlust sein. Auch eine Anämie und eine vergrößerte Milz sind typische Anzeichen. Im frühen Stadium kommt es aufgrund der Überproduktion von Blutzellen (z.B. Thrombozytose, Leukozytose) manchmal zu thromboembolischen Ereignissen, die häufig erst zur Diagnose führen. Im späteren Stadium dagegen kann eine erhöhte Blutungsneigung bestehen. Es tritt eher eine Thrombozytopenie (Abfall der Thrombozyten) in den Vordergrund. Letzteres kann daher auf eine Veränderung der Erkrankung hinweisen.

Typische Beschwerden, die zum Zeitpunkt der PMF-Diagnose bestehen können:

Wie wird die PMF diagnostiziert?

Häufig wird die Diagnose als Zufallsbefund oder in Folge eines thromboembolischen Ereignisses gestellt.

  • Bei einer Routineuntersuchung oder im Rahmen der Diagnostik und Therapie anderer Erkrankungen fallen erhöhte oder erniedrigte Werte der Thrombozyten, Erythrozyten oder Leukozyten auf. Auch der LDH-Wert (Laktatdehydrogenase) kann erhöht sein.
  • Patientinnen suchen eine Ärztin auf, weil sie unter einem oder mehreren der oben genannten Symptome leiden.
  • Die Fatigue (chronische Erschöpfung und andauernde Müdigkeit) wird inzwischen von MPN-Expertinnen als wichtiges Kriterium in die Diagnostik einbezogen.
  • Schwerwiegende Komplikationen wie eine Thrombose, ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall führen bisweilen zur Diagnose PMF.

Die Erfahrungen der Mitglieder des mpn-netzwerks zeigen, dass viele Ärzte die vielschichtige Gesamtsymptomatik zunächst nicht richtig einordnen, da Veränderungen des Blutbildes verschiedene Ursachen haben können. Mitunter werden sie sogar als Laborfehler eingestuft und ignoriert. Außerdem ist die PMF – wie bereits erwähnt – selbst unter Ärztinnen noch immer relativ unbekannt. Abklärungen können jederzeit an den spezialisierten Referenzzentren der deutsche MPN Studiengruppe (GSG-MPN) erfolgen.

Besteht der Verdacht auf eine PMF, spätestens jedoch, wenn der Arzt eine vergrößerte Milz feststellt und/oder sich die veränderten Blutwerte bei einer Nachuntersuchung bestätigen, sollte eine Überweisung zu einer Hämatologin erfolgen. Diese ist darin geschult, eine Diagnose auf Basis der aktuellen Behandlungsleitlinien der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) zu stellen.

Diagnosekriterien für die präfibrotische Phase der Myelofribrose (präPMF), nach WHO 2022

Diagnosekriterien für die fibrotische Phase der Myelofibrose, nach WHO 2022

Untersuchungen zur Diagnostik

Blutuntersuchung

Molekulargenetische Untersuchungen

Ultraschall des Bauchraums

Welche Prognose hat die PMF?

Auch wenn der Krankheitsverlauf individuell sehr unterschiedlich sein kann, weist die PMF unter den myeloproliferativen Erkrankungen die ungünstigste Prognose auf. Trotzdem sollte man Prognoseangaben, insbesondere aus dem Internet, mit Vorsicht betrachten. Es handelt sich vielfach um veraltete und daher irreführende Zahlen.

Vor dem Hintergrund der immer weiter verbesserten Behandlungsmethoden ist in der Zukunft von einer immer besseren Prognose auszugehen.

Um das individuelle Risiko besser einschätzen zu können, haben Expertinnen in den vergangenen Jahren verschiedene Bewertungssysteme entwickelt, darunter auch den sogenannten DIPSS-Score.

5 Kriterien des DIPSS-Scores, die sich negativ auf den Verlauf der Erkrankung auswirken:

Wie ist der Verlauf der PMF?

Frühphase

Wie bei allen anderen myeloproliferativen Erkrankungen kommt es auch bei der PMF durch einen Defekt der blutbildenden Stammzellen im Knochenmark in der Anfangsphase zunächst zu einer Überproduktion (Proliferation) bestimmter Blutzellen und deren Vorläuferzellen. Bei der PMF können mehrere Zellreihen parallel betroffen sein, nämlich z.B. Thrombozyten und Leukozyten (bilineäre Proliferation).

Die meisten Pathologen verwenden in ihren Befundberichten häufig den Begriff megakaryozytär-granulozytäre Myelose gemäß der sogenannten Hannover-Klassifikation, die auf diesen Zusammenhang hinweist. Megakaryozyten sind Vorläuferzellen der Thrombozyten. Granulozyten sind eine Untergruppe der weißen Blutkörperchen.

Auch in einem frühen Stadium kann die Milz bereits vergrößert sein, da diese an der Verarbeitung der übermäßig hohen Zellzahlen beteiligt ist.
Eine Auslagerung der Blutbildung aus dem Knochenmark in andere Organe findet zu diesem frühen Zeitpunkt der Erkrankung in der Regel noch nicht oder nur begrenzt statt.

Weiterer Verlauf

Es kommt im Knochenmark neben einer Überproduktion von Blutzellen zu einer vermehrten Neubildung von Bindegewebe (Fibrose). Diese Faservermehrung, deren Bildung wahrscheinlich von Entzündungsbotenstoffen (Zytokinen) begünstigt wird, lässt sich als „Narbenbildung“ beschreiben und kann zum allmählichen Versagen des Knochenmarks führen.

Gemäß der Hannover-Klassifikation wird die Fibrose in verschiedene Grade eingeteilt:

Spätphase

Eine fortschreitende Fibrose führt zu einer schleichenden Verdrängung der Blutbildung aus dem Knochenmark in andere Organe wie Milz, Leber und Lymphgefäße. Die Zellzahl im Blut, in erster Linie bei Thrombozyten und Erythrozyten, geht allmählich zurück. Es kommt mit der Zeit zu einer Blutarmut (Anämie). Die geringen Thrombozytenzahlen – diese sind für die Blutgerinnung notwendig – kann zu einer verstärkten Blutungsgefahr führen. Die Leukozytenzahl kann zu diesem Zeitpunkt sowohl erhöht als auch erniedrigt sein. Später fällt auch sie ab.

Die im Regelfall etwa 4 × 7 × 11 Zentimeter große Milz kann im Verlauf der Erkrankung auf weit über 25 Zentimeter anschwellen, mit der Folge, dass andere Organe im Bauchraum verdrängt und in ihrer Funktion beeinträchtigt werden.

Für die Patientin wird der Alltag in diesem fortgeschrittenen Stadium der PMF häufig von einem deutlichen Krankheitsgefühl bestimmt, da sich eine Anämie meist durch Abgeschlagenheit, abnehmende Leistungsfähigkeit, Müdigkeit und Erschöpfung bemerkbar macht. Der Hämoglobingehalt nimmt mit Rückgang der Erythrozyten ebenfalls ab und kann im fortgeschrittenen Stadium Werte erreichen, die regelmäßige Bluttransfusionen notwendig machen.

Wichtig zu wissen:

Der Verlauf der PMF ist individuell sehr unterschiedlich. Bei einer frühen Diagnose können Patienten über viele Jahre nahezu symptomfrei leben.

Komplikationen und Risiken

Was versteht man unter Komplikationen und Risiken?

Als Komplikation bezeichnet man in der Medizin eine unerwünschte Folge einer Krankheit, eines Unfalls, eines Eingriffs oder eines Medikaments, die nicht im engeren Sinn zum Krankheitsbild gehört. Komplikationen machen meist den Beginn einer Therapie oder deren Änderung erforderlich. Die Verschlimmerung eines Krankheitszustandes wäre z.B. eine Komplikation.

Ein Risiko weist je nach Fachgebiet einen unterschiedlichen Begriffsinhalt auf. Allgemein wird hierunter die Möglichkeit des Eintritts künftiger Ereignisse, die nachteilige Auswirkungen wie Verlustgefahren in sich bergen, verstanden. So fokussiert zum Beispiel bei der Myelofibrose die Risikoeinschätzung auf ein Fortschreiten der Erkrankung und das Umschlagen in eine Leukämie.

Gravierendste Komplikationen bei einer PMF


Klinisch bedeutsam sind:

  • Lungenembolie
  • Pfortader- und Milzvenenthrombose
  • Budd-Chiari-Syndrom (Thrombose der Lebervenen)
  • Sinusvenenthrombose (Gehirnvene)
  • Durchblutungsstörungen der Milz bis hin zum Milzinfarkt (Gefäßverschluss)
  • Schlaganfall
  • Knochenmarkversagen Leukozytopenie, Anämie, Thrombopenie)
  • Infektionen (z.B. Lungenentzündungen)
  • Erhöhte Blutungsneigung durch erhöhte Thrombozyten >1 Mio/μl (in präfibrotischer Phase)

Der letzte Punkt scheint paradox, sind doch gerade die Thrombozyten dafür zuständig, die Blutgerinnung aufrecht zu erhalten. Da jedoch die Funktion der Zellen beeinträchtigt ist, können sie diese Aufgabe nicht mehr genügend erfüllen. Anteile von Gerinnungsfaktoren können sich an die Thrombozyten binden und stehen dann für die Blutgerinnung nicht mehr zur Verfügung. Mögliche Folgen sind Haut- und Schleimhautblutungen (Blutergüsse, Nasenbluten, etc.), im Einzelfall auch Magen-, Darm- oder Hirnblutungen.

Die Einnahme von ASS (Acetylsalicylsäure, „Aspirin“ ) muss in diesen Fällen unbedingt mit dem Hämatologen abgeklärt werden.

Auch ein Abfall der Thrombozyten – meist bei fortgeschrittener Erkrankung – hat ein erhöhtes Blutungsrisiko zur Folge. Sinken die Thrombozyten unter einen kritischen Wert, werden Transfusionen mit Thrombozytenkonzentraten verabreicht.

Die erhöhte Thrombosegefahr bei einer PMF kann verschiedene Ursachen haben:

Weitere nicht PMF-bedingte Ursachen können sein:

  • eine genetische Disposition
  • ein genetischer Mangel an Protein C, Protein S
  • eine Faktor-V-Mutation Typ Leiden
Genauere Informationen über thromboembolische Ereignisse und ihre Symptome

Wie wir aus den Erfahrungsberichten aus unserem Netzwerk wissen, gelangen viele Betroffene über den Umweg solcher thromboembolischer Ereignisse erst zu der Diagnose MPN-Erkrankung bzw. PMF.

Risiko AML und MDS

Das schwerwiegendste Risiko bei einer PMF besteht in einem Übergang zu einer Akuten Myeloischen Leukämie (AML). Das kann mitunter in einem sehr kurzen Zeitrahmen geschehen und diese lebensbedrohliche Situation erfordert sofortiges medizinisches Handeln.

Der klinische Verlauf einer Myelofibrose ist sehr heterogen. Einige Patientinnen entwickeln zunächst eine akzelerierte Phase (mit Blastenvermehrung zwischen 10-20%) und/oder später eine Akute Myeloische Leukämie. Die Zahlen dazu schwanken zwischen 8 und 23 Prozent.

Wichtig zu wissen:

All die genannten Komplikationen und Risiken machen die Notwendigkeit regelmäßiger Kontrollen in einer hämatologischen Praxis deutlich.

Die Behandlung der PMF

Wann sollte mit einer Behandlung begonnen werden?

Viele MPN-Betroffene sind von Unsicherheiten und Ängsten erfüllt bei der Frage, ob bzw. wann mit einer medikamentösen Behandlung begonnen werden sollte. Wie auch die bei anderen chronischen Erkrankungen eingesetzten Medikamente, haben auch die für die PMF zugelassenen Medikamente natürlich auch Nebenwirkungen. Wie stark diese ausgeprägt sind ist von Patient zu Patient höchst unterschiedlich.

Spätestens aber, wenn krankheitsbedingte Beschwerden die Lebensqualität signifikant einschränken und der Leidensdruck so groß ist , dass ein „normaler“ Alltag nicht mehr möglich ist, und/oder eine Verschlimmerung des Krankheitszustandes objektiv erkennbar ist, sollte über einen Einstieg in eine Therapie nachgedacht werden.

Therapieziele können hierbei folgende Aspekte umfassen:

  • Heilung (z.B. durch eine Allogene Stammzelltransplantation)
  • Symptomkontrolle (z.B. durch den Einsatz von JAK-Inhibitoren)
  • Vermeidung thromboembolischer Komplikationen (z.B. durch zytoreduktive Medikamente wie Hydroxycarbamid oder pegylierte Interferone)

Es gibt Faktoren, die sowohl in die Einschätzung des Therapiebeginns als auch in die richtige Medikation einfließen sollten. Hier eine Auswahl:

Sinnvoll und wichtig: Erfahrene MPN-Spezialisten aufsuchen

Um den richtigen Zeitpunkt zum Einstieg in eine Therapie und insbesondere eine individuell adäquate Therapie zu finden, ist es durchaus angezeigt, bei erfahrenen MPN-Expertinnen vorstellig zu werden.

Fundiertes Wissen und fachliche Qualifikation sind von unschätzbarem Wert für uns als Patienten.

Da es sich um eine seltene Erkrankung handelt, können selbst erfahrene Hämatologen an ihre Grenze stoßen.

Wichtig zu wissen:

Eine Zweitmeinung ist das Recht einer jeden Patientin und wird von den Krankenkassen bezahlt.

Unter den Zentren auf der Webseite der GSG-MPN findet man spezialisierte Hämatologinnen. Unsere Erfahrungen zeigen, dass man in der Regel in einer der angegebenen Universitätskliniken am meisten Expertise findet.

Vorbereitung auf das Arztgespräch

Es ist durchaus sinnvoll, vor einem Arzttermin eigene Fragen schriftlich festzuhalten, um diese in der Gesprächssituation parat zu haben. Bei komplizierten Sachverhalten und Informationen ist man insbesondere in der ersten Phase der Erkrankung oft so aufgeregt und verunsichert, dass vieles in Vergessenheit gerät.

Auch eine Begleitperson kann nach dem „Vier-Ohren-Prinzip“ eine Erleichterung und Hilfe sein, insbesondere bei einer neuen Diagnose.
Unter „Neu diagnostiziert“ finden Sie weitere Tipps zu einem konstruktiven Arzt-Patientengespräch.

Adaptierte Behandlung

Wie die vielen unterschiedlichen Erfahrungen im mpn-netzwerk immer wieder zeigen, können sowohl Ausprägung als auch Verlauf der PMF sehr unterschiedlich sein, ebenso wie die Verträglichkeit der Medikamente.

Umso wichtiger ist daher eine, soweit möglich, der persönlichen Krankheitssituation und Symptomatik adaptierte Behandlungsstrategie.

Eine pauschale und ultimative Therapievorgabe ist daher eher kontraproduktiv.

Eine Heilung ist aktuell nur durch eine allogene Stammzelltransplantation möglich. liegt der Fokus der Therapie auf der Verhinderung von Komplikationen und einer Stabilisierung oder gar Verbesserung der Lebensqualität.

Was sind die Ziele der PMF-Therapie?

Es geht darum,

Wichtig zu wissen:

Gravierende Zwischenfälle wie eine Thrombose, ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall erfordern den sofortigen Einstieg in eine Behandlung, um die Zellzahlen umgehend und nachhaltig zu reduzieren. Nur so kann die akute Gefahr abgewendet und das Risiko weiterer Komplikationen minimiert werden.

Wie wird die PMF behandelt?

Das Spektrum der Behandlungsmöglichkeiten reicht von abwartender Beobachtung über medikamentöse Therapien bis hin zur Knochenmark- beziehungsweise Stammzelltransplantation. Welches Vorgehen das richtige ist, richtet sich unter anderem danach, in welcher Phase sich die PMF befindet und wie belastend etwaige Symptome für die Patientin sind.

Wichtig zu wissen:

Eine einheitliche Therapieempfehlung für alle PMF-Patienten gibt es nicht!
Es besteht ein Unterschied zwischen Indikation und Zulassung. Während die Indikation für die Therapie-Entscheidung eine wichtige Rolle spielt, ist die Zulassung relevant für die Kostenerstattung der Therapie durch die Krankenkassen. Bei klarer Indikation für eine zulassungsüberschreitende Therapie (Off-Label Use) kann eine Kostenübernahme bei der Kasse beantragt werden. Für seltene Erkrankungen bzw. einer geringen Zahl von Betroffenen werden oft keine Zulassungsstudien erfolgen, so dass die Leitlinien auch immer zulassungsüberschreitende Medikamente benennt, welche indiziert und wirksam sind.

Watch & Wait Strategie (Beobachten und abwarten)

Für symptomfreie Betroffene der Niedrigrisiko-Gruppe empfehlen die Leitlinien zunächst keine medikamentöse Behandlung, sondern lediglich eine Verlaufsbeobachtung mit

  • vierteljährlichen Kontrollen des Blutbildes
  • einer jährlichen umfangreichen Untersuchung einschließlich Ultraschall von Leber und Milz

Eine erneute Knochenmarkpunktion ist in der Regel erst notwendig, wenn sich der Krankheitsverlauf gravierend verändert.

Thrombozytenaggregationshemmer wie ASS, Clopidogrel u.ä.

Thrombozytenaggregationshemmer hindern die Blutplättchen (Thrombozyten) daran, miteinander zu verklumpen. Sie beugen Durchblutungsstörungen und dadurch der Wahrscheinlichkeit einer Thrombusbildung vor.

Der am häufigsten verordnete Wirkstoff ist niedrigdosierte Acetylsalicylsäure (ASS).

Symptomorientierte Therapien mit JAK-Inhibitoren

Die Entdeckung der JAK2-Mutation hat nicht nur das Verständnis für die MPN verbessert, sondern stellt die Basis für neue Therapieoptionen, die sogenannten JAK-Inhibitoren dar. Diese können die Aktivierung von Signalwegen durch alle relevanten Treibermutationen (JAK2, MPL, CALR) hemmen und somit zielgerichtet wirken.

Die sogenannten JAK-Inhibitoren bieten neben den altbewährten Wirkstoffen erstmals eine zielgerichtete medikamentöse Therapieoption. Seit 2012 ist Ruxolitinib in Deutschland zugelassen. Inzwischen steht mit Fedratinib ein weiterer JAK-Inhibitor für die Behandlung der PMF zur Verfügung.
JAK-Inhibitoren wirken nicht wie Chemotherapie, sondern greifen in einen Signalübertragungsweg der Zelle ein und sind darüber hinaus zytoreduktiv.

Weitere JAK-Inhibitoren mit teilweise variierendem Einfluss auf das Blutbild befinden sich gegenwärtig in Phase-III-Studien beziehungsweise in Zulassungsverfahren. In den USA ist dies aktuell zum einen Pacritinib, das auch bei niedrigen Thrombozytenzahlen verordnet werden kann, zum anderen Momelotinib, das sich positiv auf die Erythrozytenzahl auswirken kann. In der Regel folgt mit etwas zeitlichem Abstand auf eine Zulassung in den USA auch eine europäische Zulassung.

Ruxolitinib (Handelsname: Jakavi)

Fedratinib (Handelsname Inrebic)

Problemorientierte Therapien

Bei sehr hohen Thrombozyten (>1,5 Mio./µl) über einen längeren Zeitraum, deutlich erhöhten Leukozyten oder Durchblutungsstörungen kommt auch eine Behandlung mit zytoreduktiven (zellreduzierenden) Medikamenten in Frage. Verschiedene Studien konnten zeigen, dass diese das Risiko thromboembolischer Komplikationen verhindern können.

HUHydroxyurea (Handelsnamen: Litalir, Syrea, Hydrea)

IFN – Interferon-alpha (im ‚Off-Label-Use‘, Handelsnamen: Interferon, Pegasys, Besremi)

Supportive Behandlungsoptionen bei rückläufiger Blutbildung

Bluttransfusionen

Androgene

Kortison

Immunmodulatorische Substanzen bzw. „Degrader“

Wichtig zu wissen:

Jede medikamentöse Behandlung ist mit Risiken und Nebenwirkungen behaftet, die im Einzelfall gegen den Nutzen abgewogen werden müssen. Die Verträglichkeit und auch die Wirksamkeit der verfügbaren Medikamente sind individuell unterschiedlich, so dass häufig erst ein Behandlungsversuch ein Urteil ermöglicht. Arzt und Patientin sollten sich beraten und gemeinsam die optimale Therapie herausfinden. Diese kann im langjährigen Verlauf durchaus wechseln.

Experimentelle Behandlungsoptionen

Neue Wirkstoffe und Kombinationstherapien

Eine Vielzahl weiterer neuer Inhibitoren, wie neue JAK-Inhibitoren, aber auch auf andere Signalwege zielend, werden derzeit mit unterschiedlichen Therapieansätzen in klinischen Studien untersucht. So hofft man z.B., dass sich nach deren Anwendung die Fibrose zurückbildet. Einige der zuvor genannten sowie der in Studien befindlichen Medikamente sollen auch in Kombination mit Jakavi eingesetzt werden.

Teilnahme an Studien

Je nach Symptomatik und Behandlungserfolg mit zugelassenen Medikamenten bietet die Teilnahme an einer Studie die Möglichkeit, das Fortschreiten der PMF aufzuhalten. In klinischen Studien werden nicht nur neue Medikamente geprüft, sondern ggf. auch die Kombination von bereits bewährten und zugelassenen Medikamenten. Eine Studienteilnahme kann keinen Erfolg garantieren und muss daher sorgfältig und individuell abgewogen werden. In einer klinischen Studie erfolgt eine engmaschige Kontrolle und detaillierte Erfassung von Laborwerten. Um eine für die individuelle Situation geeignete Studie zu finden, empfehlen wir, sich an ein Zentrum der Deutschen GSG-MPN Studiengruppe zu wenden, z. B. im Rahmen einer Zweitmeinung.

Es gibt inzwischen mehrere Internetportale, die ihre Hilfe bei der Suche nach Studien anbieten. Bisher gibt es nur wenige Erfahrungen mit solchen Plattformen und man sollte sorgfältig prüfen, auf wen man sich einlässt. Nicht immer werden alle Voraussetzungen erfasst, so dass es zu falschen Hoffnungen und Erwartungen kommen kann.

Behandlungsoptionen bei vergrößerter Milz

Mit dem Fortschreiten der PMF kommt es meist zu einem deutlichen Anwachsen der Milz. Ob beziehungsweise ab welchem Zeitpunkt im Krankheitsverlauf die vergrößerte Milz Beschwerden verursacht, ist von Patientin zu Patient verschieden.

JAK-Inhibitoren

Durch die neuen JAK-Inhibitoren Ruxolitinib und Fedratinib ist eine vergrößerte Milz inzwischen sehr gut medikamentös behandelbar.

Milzbestrahlung oder operative Entfernung der Milz (Splenektomie)

Falls mangels Ansprechens oder nicht tolerierbarer Nebenwirkungen eine medikamentöse Therapie mit den o. g. Wirkstoffen nicht fortgesetzt werden kann, ist eine Milzbestrahlung in seltenen Fällen in palliativer Zielsetzung möglich. Allerdings geht diese oft mit einer weiteren Verschlechterung der Blutbildung einher. Die operative Entfernung der Milz (Splenektomie) ist risikobehaftet und wird daher kaum noch durchgeführt.

Wir empfehlen unbedingt, sich vor Bestrahlung der Milz eine zweite Meinung von einem erfahrenen Experten einzuholen.

Stammzelltransplantation, Knochenmarktransplantation

Ungeachtet der verbesserten medikamentösen Möglichkeiten ist die allogene Stammzell-beziehungsweise Knochenmarktransplantation (SZT/KMT) die bisher einzige kurative (d.h. heilende) Therapie. Hierbei werden aus dem Blut beziehungsweise Knochenmark eines gesunden Spenders entnommene Stammzellen nach einer vorbereitenden Behandlung (Konditionierung) auf einen kranken Empfänger übertragen. Oftmals ist bei vorliegender Milzvergrößerung eine Vorbehandlung mit JAK-Inhibitoren sinnvoll und empfohlen.

Diese Therapie ist ein seit Jahrzehnten etabliertes Verfahren mit hoher Standardisierung und Sicherheit. Allerdings ist nach wie vor mit einer Sterblichkeitsrate von bis zu 20% und teilweise gravierenden Nebenwirkungen (in weiteren 20% der Fälle)zu rechnen. Daher ist diese Therapie laut Leitlinien nur im Intermediär-2 oder Hochrisikostatus empfohlen, da hier das Risiko an der Erkrankung zu versterben das Therapierisiko übersteigt. Auch bei Intermediär-1 Risiko mit hohem Transfusionsbedarf kann eine Stammzelltransplantation erwogen werden.

Grundlegend ist bei Vorliegen eines Hochrisikostatus eine frühzeitige Transplantation zu erwägen, da im Verlauf auftretendes Fortschreiten der Krankheit oder erkrankungsabhängige Komplikationen die Transplantations-Fähigkeit einschränken können.

Dieser Eingriff sollte an einem ausgewiesenen Zentrum für Stammzelltransplantation erfolgen.

geeignete Spender

Vorbereitung auf die Transplantation (Konditionierung)

Transplantation

Spezialisierte Kliniken

Nachbetreuung

Rückbildung der Fibrose

Überleben

Richtiger Zeitpunkt für eine SZT/KMT

Transplantation im Alter

Regelmäßige Kontrollen sind wichtig

Die Behandlungsleitlinien der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) empfehlen folgende Untersuchungen, um den Verlauf der PMF dauerhaft zu kontrollieren:

  • Blutuntersuchung (Differentialblutbild), bei der die Abstände je nach Schwere der Erkrankung und Therapie zwischen wenigen Tagen (z. B. bei Therapieeinstieg) und mehreren Monaten (bei stabilem Verlauf) variieren
  • Risikoeinschätzung unter Einbeziehung molekularer Untersuchungen sollten durchgeführt werden.
  • eine halbjährliche umfassendere Untersuchung mit ausführlichem Arztgespräch, um den Krankheitsverlauf, mögliche Komplikationen und Therapienebenwirkungen zu überwachen
  • jährliche Oberbauchsonographie, u. a. wegen möglicher Milzvergrößerung
    Ärzte, die oft mit dem Krankheitsbild zu tun haben, werden bei Kontrolluntersuchungen die Größe der Milz häufig nur durch Abtasten feststellen.
  • ein Verlaufsmonitoring der Allellast wird z.Zt. noch nicht routinemäßig empfohlen, kann aber bei Therapieentscheidungen evtl. hilfreich sein
  • Eine erneute Knochenmarkpunktion ist nur notwendig, wenn sich Anzeichen zu einer Veränderung der Krankheit ergeben (zunehmende Anämie oder Thrombozytopenie, Blasten im peripheren Blut etc.) sowie evtl. vor einer Therapieumstellung.

Wir danken Prof. Florian Heidel, Greifswald, für seine fachliche Beratung und das Gegenlesen dieses Textes.

Quellen:

verwendete externe Links